Plattenkritik

AMERICAN FOOTBALL - S/T (LP3)

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Info

Release Date: 22.03.2019
Datum Review: 12.02.2019
Format: CD Vinyl Digital

Tracklist

 

01. Silhouettes
02. Every Wave To Ever Rise (ft. Elizabeth Powell)
03. Uncomfortably Numb (ft. Hayley Williams)
04. Heir Apparent
05. Doom In Full Bloom
06. I Can't Feel You (ft. Rachel Goswell)
07. Mine To Miss
08. Life Support

Band Mitglieder

 

Mike Kinsella - voc, git
Steve Holmes - git
Nate Kinsella - bass
Steve Lamos - drum, tromp

AMERICAN FOOTBALL - S/T (LP3)

 

 

Etikettenschwindel: Bei AMERICAN FOOTBALL geht es gar nicht um harte Tackles oder spektakuläre Touchdowns, sondern um: Zurücklehnen, Einsinken, Schwelgen. Und auch: ein wenig Legendenbildung.

So ist AMERICAN FOOTBALL aus dem Nachlass der Chicagoer Frickel-Emo-Pioniere CAP’N JAZZ entstanden, neben Bands wie OWLS, JOAN OF ARC, OWEN oder THE PROMISE RING. Und bis auf Letztere hatte und hat immer mindestens ein Kinsella seine kreativen Finger im Spiel. Mike, bei CAP’N JAZZ noch an den Drums, gründet nach deren Ende über Umwege (die kurzlebigen THE ONE UP DOWNSTAIRS) im Jahr 1997 mit zwei Steves (Lamos und Holmes) schließlich AMERICAN FOOTBALL. Eine selbstbetitelte EP (1998) und das ebenfalls selbstbetitelte Debüt (1999) nahmen damals das Melodieverständnis von CAP’N JAZZ, fuhren Geschwindigkeit, Rauheit und Punk-Appeal zurück und etablierten so etwas wie loungigen Jazz-Emo (mit Trompete!). Perlende Gitarrenakkorde, komplexe Rhythmen und der zurückgenommene, aber ausdrucksstarke Gesang von Mike Kinsella wurden Markenzeichen eines Sounds, den man heute mit Suffixen wie „Math“ (ok) oder „Twinkle“ (bitte nicht) versieht. Doch anstatt sich selbst und seinen Erfolg zu feiern, löst man sich lieber direkt wieder auf und lässt seiner Kreativität in unzähligen anderen Bands und Projekten freien Lauf. Mit jedem Jahr jedoch wächst die Anhängerschaft und die Reputation des auch „LP1“ genannten Debüts stetig an, bis sich Polyvinyl Records 2014 dazu genötigt sieht, eine Deluxe-Vinyl-Reissue auf den Markt zu schmeißen. Es folgen vereinzelte Reunion-Shows, die schließlich in Auftritten rund um den Globus und der Ankündigung eines zweiten Albums gipfeln, schlanke 17 Jahren nach dem Debüt. So erscheint „American Football (LP2)“ 2016, nun mit Nate Kinsella am Bass, und schafft es tatsächlich, die Stimmung aus den Endneunzigern in die Gegenwart zu retten, ohne dabei angestaubt zu klingen. Jetzt, nur drei Jahre später, erscheint „American Football (LP3)“. Aber irgendetwas ist anders: So ziert erstmals keine Aufnahme des inzwischen berühmten Hauses aus der Heimatstadt der Band (Urbana, Illionois) das Cover, sondern eine verwaschene Naturaufnahme mit viel Nebel und Dämmerlicht. Aufgenommen wurde das Motiv auf einem Hügel vor Urbana (Fantastischer Name, übrigens!) von Chris Strong, der sich auch für die Bilder auf sämtlichen vergangenen Veröffentlichungen verantwortlich zeichnet. Same same but different. Auch klanglich wagt man sanfte Neuerungen: „Silhouettes“ etwa beginnt mit einem Glockenspielintro, bevor die Band in gewohnt zurückhaltender Manier einsetzt. Die Grundstimmung des Albums ist jedoch weniger hoffnungsvoll, dafür noch melancholischer als früher. Der Sound ist gleichzeitig flächiger geworden und erinnert teilweise an die geistesverwandten TYCHO.

Außerdem neu: Gastsängerinnen, und das nicht zu knapp: Gleich drei der acht Songs werden durch Damenstimmen veredelt, namentlich von Elizabeth Powell (LAND OF TALK) im tollen „Every Wave To Ever Rise“, Hayley Williams (PARAMORE) im ebenso bezaubernden „Uncomfortably Numb“ und darüber hinaus gibt sich niemand geringeres als Rachel Goswell (SLOWDIVE) in „I Can't Feel You“ die Ehre. Alle drei Duette sind durchweg gelungen, weil sich die Stimmen wunderbar einfügen und zusammen mit Mikes Vortrag eine homogene Einheit bilden. „Heirs Apparent“ stellt in seiner (für Bandverhältnisse) geradezu fröhlichen Ausgelassenheit ein weiteres Highlight und wartet mit grandiosem Mädchenchor im Finish auf. Hits im eigentlichen Sinne darf man bei dieser Band natürlich weiterhin nicht erwarten. AMERICAN FOOTBALL verlangen eher, sich in die verträumte Stimmung einziehen zu lassen. Oberflächlich gehört, könnte man auch auf die Idee kommen, der Band Gleichförmigkeit zu unterstellen. Oberflächlich hört man diese Musik allerdings auch einfach nicht, sondern über Kopfhörer beim einsamen Herbstspaziergang am Wasser. Das hört sich jetzt nur so lange überladen pathetisch an, bis man es das erste Mal probiert.  

Autor

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Daniel

Autoren Bio

Musikverliebt und reisefreudig, meistens nett und umgänglich, mit einer Gefühlspalette von "Live your heart and never follow" über "Hold Fast Hope" zu "I want to smash my face into that god damn radio / It may seem strange but these urges come and go"