Das Comeback nach dem Comeback: Die alten Melodycore-Recken BELVEDERE galoppieren mit dem zweiten Album seit der Reunion in gewohnter Manier durch die Gehörgänge.
Die kanadischen Genreveteranen haben zwischen 1998 und 2004 vier Studioalben veröffentlicht, auf denen sie hochmelodischen Melodycore mit so viel technischer Finesse an der Grenze zu Metal verbanden, wie sonst nur die Kalifornier STRUNG OUT. Schon damals drehte sich das Besetzungskarussel mit ähnlicher Frequenz wie Schläge auf der Snare: Bis zur Auflösung 2005 listet die Zeitleiste acht verschiedene Mitglieder. Einzige Konstante: Sänger/Gitarrist Steve Rawles, gleichzeitig musikalischer Mastermind und dank seiner Stimme für den unverkennbaren BELVEDERE-Sound verantwortlich. Mit THIS IS A STANDOFF ließ Rawles den Geist der Band nach der Auflösung weiterleben, große musikalische Unterschiede ließen sich nicht auszumachen. Zur Reuniontour 2012 waren mit Scott Marshall (Gitarre) und Jason Sinclair (Bass) immerhin noch zwei Mitglieder der Hauptbesetzung an Board, die auch am Comebackalbum „The Revenge Of The Fifth“ mitwirken durften. Auf das nun erscheinende sechste Album „Hindsight Is The Sixth Sense“ haben sie es aufgrund der klassischen „kreativen Differenzen“ nicht geschafft, was aber ohnehin keinen wesentlichen Unterschied machen dürfte. BELVEDERE folgen einzig der musikalischen Vision von Rawles, und diese lautet: Hochgeschwindigkeitsmelodycore mit überdurchschnittlich hohem technischem Anspruch. Der Opener „Happily Never After“ macht unmissverständlich klar: Es spielt keine Rolle, ob der Kalender 2021 oder 2001 anzeigt, es wird gebolzt und gerifft wie eh und je. Der melodische Chorus wechselt kurz (zumindest annährend) Richtung Midtempo und abgerundet wird alles durch ein oder mehrere Gniedelsoli. Das Konzept wird im Grunde noch für zwölf Songs weitergeführt, viel Variation sollte nicht erwartet werden. Das seltsam zirkusartige „Elephant March“, tanzt am ehesten aus der Reihe, wirkt aber irgendwie deplatziert und find dank gewöhnungsbedürftiger Melodieführung nicht so recht ins Ohr. Gelungener hingegen sind klassische melodische Ohrwurmaspiranten wie „The Ides“ oder „Automate“. Die Highspeedsalven von BELVEDERE wirken immer dann am besten, wenn der Fuß etwas vom Gas genommen wird und das Ohr Zeit hat, die vielen Melodien und Licks auch zu erfassen, wie in „Retina“ oder „Good Grief Retreat“. Dazwischen findet sich leider viel Durchschnittsware und auch die Gastbeiträge von Roger Lima (LESS THAN JAKE) und Rody Walker (PROTEST THE HERO) verpuffen ziemlich wirkungslos. Nun haben BELVEDERE kein ausnehmend schlechtes Album aufgenommen, herausragend gut gelungen ist es hingegen auch nicht. Es ist eher die evolutionsarme Fortführung der bekannten Formel und wer damit bei BAD RELIGION oder NOFX kein Problem hat, wird auch mit „Hindsight Is The Sixth Sense“ seine Freude haben.