BOSTON MANOR gelingt mit "Glue" die endgültige Metamorphose zur Alternative Rock Band. Dieser Schritt wurde bereits mit dem Vorgänger "Welcome to the Neighbourhood" (2018) eingeleitet und nun auf konsequente Weise fortgeführt. Trotzdem schaffen es BOSTON MANOR ihre Wurzeln nicht aus den Augen zu verlieren. So weckt der Opener "Everything Is Ordinary" Erinnerungen an frühere Zeiten. Wie ein verzerrter Remix einer der ersten EPs stampft sich der Song durch den Gehörgang. Auch "1's & 0's" arbeitet mit verzerrter Stimme und verzerrten Gitarren. Diese Spielereien werden glücklicherweise nicht übertrieben.
"Plasticine Dreams", das bereits vorab veröffentlicht wurde, beinhaltet alles was ein BOSTON MANOR Song im Jahre 2020 ausmacht. Gefühlvolle Strophen, eingängige und rockige Refrains. Klingt ziemlich 08/15, ist es aber nicht. Die Band klingt frisch und die unverkennbare Stimme von Sänger Henry Cox ist eingängig und einzigartig zugleich.
Mit "Terrible Love" und "Stuck in the Mud" entfernen sich BOSTON MANOR musikalisch am weitesten von den Pop-Punk Anfängen der Bandgeschichte. Ruhige, balladenartige Rockmusik wird an dieser Stelle kreiert ohne zu cheesy zu wirken. In "Terrible Love" verarbeitet Henry Cox sein ständiges Verlangen danach akzeptiert zu werden. Immer auf der Suche nach Bestätigung durch Andere. Eine Eigenschaft, die dem Sänger nicht gefällt.
So tell me you love me
Tell me I'm everything you want
Tell me you need me
Give me everything you've got
Insgesamt decken BOSTON MANOR auf der Platte ein breites Spektrum an Themen ab, u.a. persönliche Probleme, toxische Maskulinität und falsche Versprechen in der Unterhaltungsbranche.
"You Me & the Class War" steht wie ein Pfeiler in der Mitte des Albums. Mit satten Screams beginnt der Song, angefeuert durch das wilde Treiben der Instrumente. Ein abruptes Ende dieser Entladung: Ein sanfter Refrain überrascht den Hörer bevor die Band wieder in ein wildes Treiben eintaucht. Dieses auf und ab zieht sich durch den Song und macht ihn zu einem der interessantesten Songs der Platte.
"Playing God" versprüht einen starken "Welcome to the Neighbourhood"-Vibe und hätte ebenso gut auf die Vorgänger-Platte gepasst. "Brand New Kids" nimmt diesen Vibe auf, zeigt aber gleichzeitig auch das zwei Jahre zwischen den Alben liegen. Der Pop Punk aus den Anfangsjahren scheint hier ganz weit entfernt. BOSTON MANOR anno 2020 spielen Alternative Rock mit allen möglichen Einflüssen, mal punkig, mal poppig, mal straight forward. Mit einigen, aber nicht zu vielen elektronischen Spielereien. Im Fokus liegt handgemachte Musik. "Ratking" schlägt anschließend in dieselbe Kerbe. "Liquid", der erste Song der vom Album vorab veröffentlicht wurde, könnte für die Band zu einer Hymne werden. Er vereint sowohl die (pop-)punkigen Anfänge der Band als auch die aktuelle Rock Attitude, die nicht vor Experminenten zurückschreckt. Mit "Monolith" stellen BOSTON MANOR ihren wohl härtesten Song ans Ende von "Glue". Nachdem Henry Cox von harten Screams bis zu sanftem Clean Gesang nochmal sein ganzes Stimmrepertoire gezeigt hat, verschwimmt das Ende. Ein fade out des Songs geht über in sphärische Pianoklänge, die von einem flüsternden Sänger durchbrochen werden:
Peel back your surface
Show me your soul
Show me your silver
Show me your gold
Show me your gold
In 51 Minuten Spielzeit verpacken BOSTON MANOR 13 Songs. "Glue" ist das wohl abwechslungsreichste Album der Bandgeschichte und schafft es die aktuelle musikalische Ausrichtung mit Anleihen aus früheren Tagen zu füttern ohne sich dabei zu wiederholen.
Anspieltipps: "Plasticine Dreams", "Liquid", "You, Me & the Class War" und "Stuck in the Mud".