Ein kurzer Blick hinter den Zaun. Das Land ist der Feind. Die Umwelt ist der Feind. Das Selbst ist der Feind. Die Musik ist der Feind. Der Hass auf den Hass ist der Feind. CEREMONY buchstabieren latent schlechte Laune wieder einmal so treffend Machismo-frei aus, dass man einfach mit muss. Wut hat kein Geschlecht. Neuerungen: diesmal so eingängig und experimentierfreudig wie nie zuvor.
Alles ist in feinster architektonischer Ordnung. Die immergleichen Häuser strahlen das aseptischste Weiß aus, das Menschenaugen je gesehen haben. Die Blumenbeete fein drapiert und akribisch gestutzt. Man könnte Bomben fallen hören. Die Flagge hängt stolz, nicht geknickt. Die Fassade, sie steht. Kein Quäntchen Hässlichkeit, nirgends. Dahinter: die Hölle des Alltäglichen, beißende Langeweile, gähnende Leere. Lebt es sich so in Rohnert Park, der Heimatstadt von CEREMONY irgendwo in Kalifornien? Man weiß es nicht. Ein bisschen gemahnt dieses die Identität komplett auslöschende Standbild ja an Filme von Gus Van Sant. Irgendwann, irgendwo geht etwas schief. Der Schuss in der Nacht und alle drehen sich auf die kühle Seite des Kopfkissens als hätten sie nichts gehört, um am nächsten Tag kerzengrade und faltenfrei der Wiederkehr des Immergleichen zu salutieren.
CEREMONY wären allerdings nicht CEREMONY, würden sie besagte Zustände (Achtung: Doppeldeutigkeit) mit Althergebrachtem aushebeln. 'Rohnert Park' dürfte sowohl die offenste, wütendste, allerdings auch „Hit“-lastigste Veröffentlichung der Band sein. Das muss nicht zwingend ein Widerspruch sein. Zuerst sind da irgendwie gruselige Surfgitarren, ein repetitiv-simpler Punkbeat macht sich langsam Luft und Ross Farrar (der mit dem Mikro in der Fresse) variiert höchsteffektiv ein uraltes Punkmotiv: Hass auf alle und jeden und sich selbst. So einnehmend wie im zweigeteilten 'Into The Wayside Part I / Sick', einer sämtliche Krankmacher und anderes verfluchende Blutgrätsche („Sick of Black Flag, sick of Cro-Mags…Sick of livin‘ in America“) hat man das lange Zeit nicht gehört. Danach werden CEREMONY eingängig ('M.C.D.F.'), richtiggehend beschwingt ('Terminal Addiction') oder gar NIRVANA-esk ('The Doldrums (Friendly City'). Vor allem Letzteres überrascht natürlich in seiner eher gesprochenen Vortragsweise. Wer hier an jüngste BLACKLISTED denkt, liegt gar nicht mal so falsch. Der Kern von 'Rohnert Park' speist sich jedoch aus jenem nihilistischen Punk-Gestus, den man von den DEAD KENNEDYS (das Hysterische) und BLACK FLAG kennt (der Nervenzusammenbruch). Alles jedoch komprimiert, Zersetzung zum Mitsingen sozusagen. 'Open Head' beweist, dass es keiner enigmatischen oder gar langen Texte bedarf, um sich mitzuteilen. Und verstanden zu werden. Der alte schwarz-milchige Hass ist immer noch gegenwärtig, wobei die Band nicht mehr die Powerviolence-Karte zieht. CEREMONY tänzeln eher um den Hörer rum, statt ihn wie in der Vergangenheit häufig geschehen unter Hasseruptionen zu begraben. Die Wirkung indes ist ähnlich. Verachtet euer Heimatdorf, es ist die Hölle. CEREMONY spielen das alte Spiel so modern-rückwärtsgewandt mit wie es nur eben geht. Und sie spielen es gut. Bridge 9 haben endlich eine richtig gute Punkband unter Vertrag.
Tracklist:
01: Into The Wayside Part I / Sick
02: M.C.D.F.
03: Moving Principle
04: The Doldrums (Friendly City)
05: Open Head
06: Into The Wayside Part II
07: Terminal Addiction
08: Don’t Touch Me
09: Back In ‘84
10: All The Time
11: The Pathos
12: Nigh To Life
13: Into The Wayside Part III