Mit dem Fahrrad auf dem Weg in die Stadt und am liebsten würde ich allen herumstromernden Menschen eine fünf Zentner schwere Plastiktüte über den Kopf stülpen. Misanthropie kann auch ein fabelhaftes Gefühl sein, wenn man es nur kurzzeitig auskosten muss. Gepaart mit Nihilismus ergeben sich unfassbar tiefe Abgründe, welche sämtliches Licht brechen und in sich aufsaugen. Alles Helle, Gute und jedwede Hoffnung wird absorbiert und ins Negative verkehrt. 'Es geht sich nicht aus', denn 'bist du einmal traurig und allein, gewöhn dich dran es wird bald immer so sein' ('Sinnlos').
Alles steht hier auf wackeligen Füßen, so dass nicht mal mehr Bierdeckel Halt versprechen. Lässig angeschlagenes Klavier, geschrammelte Gitarre und ein leicht windschiefes Schlagzeug. In diesem recht begrenzten und angenehm unterproduzierten Rahmen schwingen sich manche Lieder dennoch zur Quasi-Opulenz auf, wobei die abgründigen Texte wunderbar durch poppige und legere Melodien konterkariert werden. CHRISTIANE RÖSINGER schafft es ihren verquerten und dunklen Blick auf die Welt, in eine so grandiose Poesie zu verwandeln, dass sie mit Recht zur besten deutschen Songschreiberin ausgerufen werden darf.
Mit 'Berlin' gelingt ihr eine Antihymne auf die Hauptstadt, welche sich aber auch auf jegliche andere deutsche Großstadt spiegeln lassen dürfte. 'Wenn die Sonne fehlt, Wenn der Regen läuft, Wenn die Unterschicht das Kindergeld versäuft […] Wenn die Fahrradfahrer uns vom Bordstein fegen, Die Verrückten in der U-Bahn wieder laut mit sich selber reden'. Hier mag das vielleicht noch humoristisch klingen, aber bei 'Verloren' und 'Sinnlos', weiß man nicht mehr ob einem das Lachen nur im Hals stecken bleibt oder es direkt mit der ganzen angestauten negativen Sauce die man im bisherigen Leben in sich aufgenommen hat, wieder ausgekotzt werden möchte.
Die Hasstirade 'Verloren', welche nur aus Adjektiven für die verabscheute Person besteht, bekommt wenigstens noch Erlösung durch eine dylaneske Mundharmonika zum Ende. 'Sinnlos' hingegen ist ein Manifest des Nihilismus und des Pessimismus, 'Und fühlst du einen Moment lang sowas wie Glück, auch das geht schnell vorbei und es kommt auch nicht zurück'.
CHRISTIANE RÖSINGER legt also nun, nach jeweils vier vollwertigen Alben mit den Lassie Singers und Britta, ihr erstes Soloalbum vor und vermag es mit den bisher genannten Lieder so manche alteingesessene und neuere Songschreiber problemlos in die Tasche zu stecken. Auch die restlichen Stücke sind kein Zitatenpop, wie das Cover und der Albumtitel es vielleicht vermuten lassen. Ein einziges adaptiertes Lied findet sich wieder, aber 'These Days' von Jackson Browne reiht sich so passend mit dem eingedeutschten Text ein, dass es gar nicht weiter auffällt. Auch dass das Wort L. im Titel nicht ausgeschrieben wird ist in dem aufgebauten negativen Kosmos nur konsequent. Mit Andreas Spechtl von Ja, Panik hat CHRISTIANE RÖSINGER auch einen genialen Partner gefunden, welcher den musikalischen Grundrahmen passend ausformuliert hat. Bei Zeiten mag man noch an seine Hauptband denken, jedoch hat er den dort dominanten Indie-Rock gepflegt zurückgefahren.
'Es ist alles sinnlos, da muss man sich doch einfach hinlegen, oder man steht erst gar nicht auf'. Nach diesen emotionalen Tiefpunkt versucht man sich dann doch an so etwas wie einem motivierenden, aufraffenden Song. Aber auch 'Hauptsache Raus' kommt nicht ohne Schlagseite weg, denn 'fragt mich einer wie ist es mir zumute, grad so als ob das Herz ganz angenehm verblutet'. Mit 'Es Ist So Arg' wird dann noch all denen ein Schuss vor dem Bug gegeben, welche mit neuralen Infarkten kokettieren. Krankheiten wie Depression und Borderline-Syndrom werden zwar in der Gesellschaft schon fast akzeptiert, aber immer noch auf wenige Symptome reduziert, so dass es fast schon zum Lifestyle gehört auch mal beim Psychotherapeuten gewesen zu sein. Schöner als mit dem Neologismus 'Volvic-Water-Life-Crisis' kann man es eigentlich nicht auf den Punkt bringen.
CHRISTIANE RÖSINGER bringt auf 'Songs Of L. And Hate' vieles auf den Punkt und darüber hinaus. Die rauchige, verbrauchte und kaputte Stimme pflegt es schmerzhafte Wahrheiten jenseits von Hoffnung und Illusionen auszudrücken, wie man sie so in diesem Jahr noch nicht gehört hat. 'Auf all den Kummer folgt bald Hass und Verachtung' und selten der angestrebte Frieden, die willkommene Freundschaft oder eine einfache Aussöhnung. Die Realität schmerzt doch wir können sie nicht leugnen. Das einzige was bei CHRISTIANE RÖSINGER noch darauf folgt sind ein paar kleine Lieder die bleiben werden. 8,5
Tracklist:
1. Ich Muss Immer An Dich Denken
2. Es Geht Sich Nicht Aus
3. Desillusion
4. Berlin
5. Verloren
6. Sinnlos
7. Hauptsache Raus
8. These Days
9. Es Ist So Arg
10. Kleines Lied Zum Abschied