Ich war überrascht. Sehr überrascht. Als die letzten Klänge des neuen CITIZEN Albums "Everybody Is Going To Heaven" vor einigen Wochen durch meine Kopfhörer schallten, wusste ich zugegebenermaßen nicht so recht damit etwas anzufangen, geschweige denn das gerade Gehörte in Worte zu fassen. Zu vertrackt, über Stellen nur schwer zugänglich und unzusammenhängend klang das gerade Gehörte. Daher hier nun ein Versuch Worte zu finden für etwas, das sich so sehr bemüht nicht in Worte gefasst werden zu können.
So plakativ dies zur Eröffnung eines Reviews auch klingen mag, aber CITIZEN haben sich verändert und sind reifer geworden. Insbesondere Sänger Mat Kerkes scheint seine Jugend und damit "Youth" hinter sich gelassen zu haben (1€ in die schlechte Wortspielkasse) und widmet sich auf "Everybody Is Going To Heaven" zwar immer noch ähnlichen Themen, aber mit einer gewissen Distanz und somit um einiges reflektierter. I am coming clean with myself. I'm peeling off a film of a former me and you can tell. I wish you could see me now. I am fluorescent and new. Ob diese Erkenntnis zu einer neuen Art von Selbstvertrauen geführt hat oder wo auch immer die neuen Singstile ihren Ursprung haben lässt sich natürlich nur mutmaßen, aber hier unterscheidet sich das neue Album am deutlichsten von seinem Vorgängerwerk. Von einem leisem Wispern (Weave Me (Into Yr Sin)) bis hin zu lauten Schreien (Stain) deckt Mat hier so ziemlich die gesamte, ihm zur Verfügung stehende, Gesangspalette ab und sorgt dadurch für eine vielleicht absichtliche/unabsichtliche Vielfalt, die aber insbesondere bei den ersten Durchläufen durchaus verstörend wirken kann. Klingt zwar so kaum ein Lied wie der Vorgänger, was man sicherlich als abwechslungsreich bezeichnen kann, leidet dadurch natürlich die Eingängigkeit.
Doch nicht nur auf gesanglicher und textlicher Ebene hat sich einiges getan. Auch die Musik ist deutlich komplexer und ausufernder geworden. Ganze neun Minuten ist "Everybody Is Going To Heaven" länger als "Youth" (bei gleichbleibender Songanzahl) geworden, was der Band natürlich einiges mehr an Entfaltungsmöglichkeit bietet. Man könnte also ein gewisses Kalkül unterstellen, dass eben genau dieses Ausufernde und Komplexere geplant war. Insbesondere bei dem Albumhighlight "Ring Of Chain" wird dies deutlich. Weit über fünf Minuten lang baut die Band hier langsam aber sicher ein Soundbild auf, welches Mat mit einem simplen aber unglaublich schönem there's a quiet breeze and it sings for me unterlegt - groß.
Schlussendlich bleibt (immer noch) nicht viel zu sagen. Ich habe mich wirklich schwer getan "Everybody Is Going To Heaven" in Worte zu fassen. Nicht weil es etwas komplett Neues oder noch nie dagewesene ist – ist es nicht. Aber dieses Album möchte angehört werden. Fleht schon fast darum wieder weggelegt zu werden, nur um eine weitere "letzte" Chance zu erhalten, bei der es dann auf einmal Klick macht. Bei der man Zusammenhänge versteht und schätzen lernt. Bei der man dann auf einmal versteht, wieso hier viel experimentiert wurde, was aber eigentlich gar kein wirkliches experimentieren ist. Bei der man versteht, wieso es kein Kalkül war längere Songs zu planen, sondern vielmehr eine Band mit klarer Vision am Werk war, die vor sich hin musiziert hat und eben dies als Ergebnis dabei herauskam. Selten hat sich ein Album so sehr von etwas sehr unzusammenhängendem zu einem, für mich persönlichem, großem Ganzem verbunden wie das neue Album von CITIZEN. Chapeau.