In den Köpfen der Menschen herrscht Chaos. Überall. Egal wohin man sieht. Sind wir nicht alle irgendwie besessen davon? Eine zentrale Aussage in Lars von Triers neuestem Streifen Antichrist lautet: "Chaos regiert!", gesprochen von einem Fuchs. Der Fuchs hat nicht unrecht, Lars von Trier ebenfalls nicht und CONVERGE erst recht nicht. Es ist der Krach, der sich erst in unseren Köpfen zu einem Ganzen zusammenfügt, eine Einheit bildet. Das Durchbrechen und Ignorieren von Strukturen, das scheinbar sinnlose Aneinanderreihen irgendwelcher Melodieansätze, dieses Gift und Galle spuckende Organ, diese technische Versiertheit, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Für viele unverständlich, für Liebhaber die Erfüllung.
Sie sind zurück. Die Meister des Brachialen. Dieses Mal haben sie Verstärkung dabei und diese nicht zu knapp. Eine Armee an Mitstreitern aus der Musikszene haben sie um sich versammelt, die sie bei ihrem Vorhaben unterstützen. Unter dieser Armee befinden sich solch prägnante Namen wie Steve Von Till, George Hirsch, Mookie Singerman und Steve Brodsky. Sie alle wetzen ihre Instrumente und die Stimmbänder, eine Schlacht, die gleich von vorne herein gewonnen scheint. CONVERGE sind eine dieser Bands, die gleich mit dem ersten Track alles in Schutt und Asche legen können. Das beweisen sie mit "Dark Horse" einmal mehr. Wozu soll man sich auch lange mit Nichtigkeiten rumstreiten, wenn man den Hörern auch gleich zum Anfang das Hirn rauspusten kann. Der Song wirkt dennoch anders, weniger chaotisch, fast geradlinig. Jedoch nur für die erste Hälfte. Schnell entfaltet sich das gewohnte Gefühl und man fühlt sich irgendwie zu Hause in all dem Krach. CONVERGE sind gewohnt schnell, die Finger fliegen über die Bünde, die Sticks schnellen auf die Felle und schon wird "geernet, was man säht". Währenddessen nimmt man teilweise schon thrashige Ausmaße an und überrascht durch unerwartete Wendungen in Stil und Methode.
Nate Newton hebt seinen Bass in die Höhe, holt zum Schlag aus, "Axe To Fall"! Er schlägt zu. Sie alle schlagen zu. Jacob brüllt wie am Spieß mit George Hirsch um die Wette. Jacob gewinnt und begräbt die Stimme Georges unter seinen Hasstiraden, hilft ihm danach aber freundschaftlich wieder auf die Beine. Zeit zum Verschnaufen gibt es keine. CONVERGE wollen zeigen, welche Ideen sie hier zu Musik verarbeitet haben. "Worms Will Feed" ist das nächste eindrucksvolle Beispiel. Im Gegensatz zum Anfang herrscht hier nun eine eher schleppende und progressiv wirkende Stimmung. Gleiches gilt für "Damages". Beide Stücke wollen beim Erstdurchlauf nicht in das Gesamtbild passen. Zu viel haben CONVERGE schon mit den Synapsen der Hörer gespielt, sie verätzt oder zum Platzen gebracht. Fast bemerkt man nicht, wie passend diese Stücke doch eigentlich sind und die weiteren Angriffe auf den Gegner einleiten. Diese wirken nach den kurzen Verschnaufpausen umso vernichtender.
Bevor Steve Von Till mit "Cruel Bloom" das Grabeslied des Hörers in Nick Cave´scher Form vorträgt, bekommt man durch "Dead Beat" noch einmal das finale Paket an Schlägen auf den gesamten Körper erteilt. Am Boden liegend, Blut spuckend und keuchend, wird man von Steve verabschiedet. Er weiß, man wird es nicht schaffen, fast schwingt Trauer in seiner Stimme mit. Die Musik ist passend leise und beruhigt den Verlierer. Dennoch, es wirkt fast verachtend und belustigt, denn er weiß genau, dass CONVERGE noch ein letztes Ass im Ärmel versteckt haben, welches sie nun in Richtung Boden schleudern. "Wretched World" steht in großen Lettern auf die Karte geschrieben, die einem in der Kehle stecken bleibt. Unfähig, um auch nur noch eine Handlung zu unternehmen, liegt man da und muss eine letzte Tortur über sich ergehen lassen. Sie machen es langsam, sehr langsam. Mookie Singerman singt einen in den Halbschlaf, die Musik wirkt hypnotisierend. Am Boden liegend wartet man auf das Ende, öffnet die Augen und erblickt Jacob mit weit aufgerissenem Mund. Er spuckt einem ein letztes Mal die Galle ins Gesicht, grinst und dreht sich um. Es herrscht Stille.
Während die Aasgeier hoch im Himmel über einem kreisen, liegt man dort und denkt über den eben ausgestandenen Kampf nach. Es bleibt einem nicht mehr viel übrig, als sich selber einzugestehen, dass man buchstäblich vernichtet wurde. Man schließt die Augen und trotz der Schmerzen wünscht man sich, die Zeit noch einmal zurückdrehen zu können und den Kampf erneut zu erleben. Aus einem anderen Blickwinkel und mit anderer Erwartungshaltung. Man hat das sichere Gefühl, dass sich das lohnen könnte. Chaos regiert!
by Alex G.
Muss alles mit, muss alles raus. Wer nach dem Konsum dieses Albums immer noch den abgedroschenen 'Jane Doe'-Vergleich bemüht, der soll sich für mindestens einen Song lang auf Ben Kollers Drumkit nageln lassen. CONVERGE 2009 sind verspielter, dichter, fetter und ideenreicher als je zuvor. Die fallende Axt wird so zum Damoklesschwert - über den Köpfen der anderen Hartmusizierenden hängend.
Man stelle sich für einen atemlos kurzen Augenblick nachfolgendes Szenario vor: Die Szene ist leer, harte Musik höchstens noch eine Randnotiz, die Gitarren sie wurden eingemottet. Schlagzeuge verstauben in dämmrigen Kellergewölben. Der Bass, ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Metal? Tot wie jeder zweite Text von CANNIBAL CORPSE. Hardcore?! Lasst uns nicht länger drüber reden. Der kleine Aufschwung in den Nuller Jahren, das war doch irgendwie glücklicher Zufall. In der Geisterstadt namens "Don't-call-me-chaoscore" flirren Windhexen ziellos umher, alles liegt grau in Staub. Menschen ohne Gesichter unterhalten sich über Töne längst vergangener Zeiten. Die kein Genre brauchten, um überhaupt irgendwas zu sein. Die irgendwie alles waren: Hart, pure formvollendete Zerstörung, abgrundtiefe Verzweiflung, bildschöner Dreck, Avantgarde, die sich selbst beständig einholte. Im Hintergrund, lauschend: Dreizehn Zeugen längst vergangener Zeiten, die selbstbewusst in die Zukunft weisen.
Ist das jetzt zu hoch gegriffen? Kennen wir ihre Tricks nicht mittlerweile in- und auswendig? Die Polyrhythmik Ben Kollers, der einen in manch unvorsichtigem Moment beinahe erschlägt (und der hier - soviel darf verraten werden - noch ein paar Pfunde drauflegt). Oder Kurt Ballou mit seinem kaputten Understatement, gestimmte Gitarren sind für Weicheier. Nate Newton, der seine Affinität zu Tiefergelegtem mit Grabesstimme im Metalkontext der DOOMRIDERS vollends ausleben durfte und auf "Axe To Fall" auch mal ans Mikro darf. Schlussendlich natürlich Jacob Bannon. Mal bellend, mal eher gesprochen flehend, immer diese etwas entrückt wirkende Form von Aggression. Kennen wir ihre Tricks nicht mittlerweile in- und auswendig?
"Axe To Fall" negiert und überzeugt. Mit vollerer, bulligerer Produktion. Mit einer Vielzahl von Gästen, die sich dennoch harmonisch einfügen und das Album nicht überfrachtet klingen lassen. Und schlussendlich auch mit einem leicht anderen Ansatz: Hier werden Ideen nicht umgehend platt gemacht, sondern weitergedacht und ausgelebt. Hier werden dem Hörer die Nägel nicht ausschließlich mit einer Zange aus dem Nagelbett gerissen oder die Faust in den Hals bis zum Zäpfchen gewuchtet. "Axe To Fall" - Album Nummer 7 - ist vielleicht CONVERGEs vollstes Album geworden. 'Dark Horse' gibt als Opener das ultimative Trojanische Pferd. Apokalyptischer Bass, ein dräuender Einstieg und dann? Eine Gitarrenmelodie, die einen Song trägt? Bei CONVERGE?! Der erste Song ist eine unverschämt eingängige Gitarren-Achterbahnfahrt, es gibt gar so etwas wie einen mitgröhlkompatiblen Refrain. Und durchgespielte Doublebass. Bannon klingt beinahe handzahm, bevor er sich doch wieder im Songgestrüpp verbeißt. 'Reap What You Sow' und der Titelsong wiederum sind dann schon eher die vertrackten bekannten Hassbatzen , die man von den Bostonern kennt. Dass George Hirsch von BLACKLISTED auf 'Axe To Fall' aushilft, bemerkt wohl auch nur, wer sich den Song über Kopfhörer anhört. 'Effigy' ist dann so etwas wie der ultimative Freundschaftsbeweis - und eine Möglichkeit für Stephen Brodsky (hier: Gitarre) und John-Robert Conners (hier: Schlagzeug) zu übergegniedelten Gitarren noch mal auf alte, chaotische CAVE IN-Zeiten anzustoßen. In 'Worms Will Feed', DEM nachdrücklichen Rasierklingenblues auf dem Album gibt Bassist Nate Newton den Mahner und lotet eine weitere Facette des CONVERGE'schen Tiefenspektrums aus. Schwer, schleppend, schief, schicksalsschwanger. Überhaupt: Wenn man 'Axe To Fall' etwas nachsagen könnte, dann dass viele Songs sehr gut für sich alleine funktionieren, der blutrote Faden jedoch manchmal fehlt. Die Songs jedoch, sie sind mitunter Manifeste. 'Wishing Well' wird sich in seiner beinahe D-Beat-lastigen Stringenz und Eingängigkeit (liegt's an DISFEARs Uffe Cederlund?!) perfekt in ein modernes Set einfügen, auf 'Cutter' spielen CONVERGE in Teilen ironiefrei Metal und lassen sich dabei von John Pettibone (u.a. HIMSA, THE VOWS) anblöken.
Womit wir wieder zurück wären in unserer Geisterstadt. Hier singt nur noch selten jemand schräge Lieder aus dem Gestern. Und wenn, dann hört er sich höchstwahrscheinlich an wie Steve Von Till von NEUROSIS. Der Strom, er scheint zunächst ausgefallen, wenn sich Von Tills kellertiefes Organ durch 'Cruel Bloom' windet, beinahe angenehm, wenn auch latent bedrohlich. Sind das noch CONVERGE? Da fehlt doch was. So etwas hätte man durchaus von MURDER BY DEATH erwartet oder in schieferer Interpretation von unserem entrückten Märchenonkel TOM WAITS. Am Ende bricht der Song dann doch noch auf, begräbt sich selbst und macht Platz für Stille. Darauf: Gitarrenmelodien wie eine verstimmte Spieluhr. Majestätisch und versöhnlich. Ist das ('Wretched World') noch unsere Zeit? Eine leicht verzerrte Gitarre als Herzschrittmacher und wer da singt ist natürlich (wieder) nicht Jacob Bannon. Mookie Singerman von GENGHIS TRON breitet sich harmonisch aus auf dem letzten, elegischen Stück dieser Platte, die einen glauben macht, dass Töne eben doch nicht beliebig verschiebbar sind, um irgendwas im Hörer auszulösen. Dass Aggression sich nicht doch beständig in den eigenen Klischee-Schwanz beißen muss. Da ist noch Leben drin in dieser aschfahlen Welt. Im Hintergrund: Leise Monologe. Das ist guter Bombast, CONVERGE wissen nicht zuletzt seit 'Grim Heart/Black Rose' mit Jonah Jenkins, dass sie auch mal abgeben müssen, um wahrhaft Großes entstehen zu lassen. Am Ende finden sie begleitet durch einen Chor von Höllenhunden doch noch ihre Heimat und explodieren in die Ewigkeit. Jetzt wieder durchatmen. Menschen ohne Gesichter, Staub von den Schultern abklopfend kommen dir entgegen.
by René
Tracklist:
01: Dark Horse
02: Reap What You Sow
03: Axe To Fall
04: Effigy
05: Worms Will Feed
06: Wishing Well
07: Damages
08: Losing Battle
09: Dead Beat
10: Cutter
11: Slave Driver
12: Cruel Bloom
13: Wretched World