Plattenkritik

Cruel Hand - Lock and Key

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Release Date: 27.07.2010
Datum Review: 06.09.2010

Cruel Hand - Lock and Key

 

 

Veränderung. Man könnte fast meinen dies wäre die Maxime für Hardcore im Jahre 2010. Eindrucksvoll bewiesen zum Beispiel BLACKLISTED oder die leider dahin geschiedenen Crime in Stereo mit ihren neuen Veröffentlichungen, wie weit man von seinen Ursprüngen weichen kann, ohne damit zu enttäuschen. Und auch wenn man auf die „Hypes“ der letzten Jahre zurückschaut: COLD WORLD, DEFEATER, CEREMONY (die ja vor kurzem auch ein sehr unkonventionelles Werk präsentiert haben) und wie sie alle heißen: Sie polarisieren. Sie weichen ab von den Standards. Sie erschließen neue Weiten in der Musik. Mit traditionellem Youth Crew oder New York Hardcore kann man heute keinen mehr überraschen. Das wissen natürlich auch CRUEL HAND aus Portland. Doch wie kennzeichnet sich die Weise, in der sie sich einzigartig machen wollen?

Es gibt sicher eine Menge Leute, die gerne weiterhin gewohnt groovige Songs der Marke Hounds oder Dead Weight vom Vorgänger „Prying Eyes“ vorgesetzt bekommen hätten. Aber ganz ehrlich: Wenn man sich nur ganz kurz in die Lage der Musiker versetzt, kann und soll es kein Anspruch sein, auf jedem Release gleich zu klingen. Denn: Wo ist da die Herausforderung?

Allerdings ist es auch immer schwer, neue Schritte zu wagen. Fans verliert man damit sicher immer, ob man (eventuell sogar mehr) neue dazu gewinnt, ist eben die Frage. Doch meist wächst eine Band mit den Jahren. So in meinen Augen auch CRUEL HAND. Rückschritte bilden eher die Ausnahme. Zumindest was das Gesamtprodukt angeht. Denn Rückschritte macht die Band auf jeden Fall, nämlich in Sachen Groove und Härte. Moshpit-technisch ist älteres Material sicherlich geeigneter. Das hatte sich schon angedeutet, als man vor dem Album noch eine selbst-betitelte 7 Inch heraus brachte. Doch dieses Manko bedeutet nicht, dass „Lock and Key“ ein Reinfall ist. Ganz im Gegenteil. Denn auf anderen Gebieten haben die Jungs um Sänger Chris Linkovich ganz schön zugelegt!
Fast in jeder Rezension des Albums fällt der Name Metallica. Und klar, leugnen kann man Parallelen zwischen dieser Band und dem heutigen Sound von CRUEL HAND nicht. Die fallen vielen wahrscheinlich schon beim ersten Durchgang auf. Aber reduzieren kann man die 10 Songs darauf auf keinen Fall. Die Lieder klingen sicherlich teils stark nach Madball, teils stark nach No Warning, teils stark nach besagter wohl populärster Metal-Band aller Zeiten. Doch dabei biedert sich die Platte nie zu sehr an eine dieser Bands an. Die Strukturen wirken an keiner Stelle, als hätte man sich alles „zusammengeklaut“. Viel eher macht sich der Eindruck breit, als wäre die Band, die einst nur ein Nebenprojekt von Outbreak war, an jedem Instrument gewachsen. Linkovich’s Texte passen sich knackiger denn je an die abwechslungsreichen Gitarrenmelodien an und auch seine Stimme überrascht, beispielsweise als er im zweiten Lied „Cruel Hand“ auf Schreigesang verzichtet. In diesem Song sehe ich aufgrund der Einprägsamkeit des Refrains den Hit der Platte – den Ohrwurm bin ich erst mal ein paar Tage nicht mehr los geworden. Die Texte gestalten sich wesentlich metaphorischer und verschachtelter als noch zuvor – eine durchaus positive Entwicklung, hatte mich so manch älterer Text der Band noch eher an Prollo-Phrasendrescherei erinnert. Auch seine Kollegen lassen sich nicht lumpen, so hören sich die Drums viel ausgereifter und differenzierter an, was daran liegen könnte, dass Nate Manning von der Klampfe hinter die Trommeln gewechselt hat. Die Gitarrenarbeit gestaltet sich wesentlich aufwändiger: Zwischen die rotzigen Akkordfolgen, die man schon gewohnt ist, reihen sich nämlich jetzt ausgeklügelte Riffs und sogar längere Gitarrensoli (in Day or Darkness, One Cold Face und The Bottom), für die erstaunlicherweise auch Sänger Chris Linkovich verantwortlich ist (im Schreibensprozess). Ein richtig eingespieltes Team also, da ist es kein Wunder, dass so etwas großartiges dabei herum kommt.

Wenn ich „Lock and Key“ mit „Prying Eyes“ vergleiche, kommt dabei ein Unentschieden heraus. Bestach die Band 2008 durch eine unglaubliche Eingängigkeit im Sound, durch einen unvergleichlichen Groove und dadurch, dass man zu diesem Album einfach ausrasten musste, besticht sie 2010 durch eine immense Tiefe im Sound. Auf dem neuen Werk von CRUEL HAND gibt es eben wesentlich mehr zu entdecken. Textlich wie musikalisch ist die Musik zwar weniger eingängig, dafür aber sicherlich facettenreicher. Vor allem der Tempobereich der Platte ist sehr variabel. Sowohl Metal- als auch Hardcore-Fans dürften also sicherlich ihren Spaß daran finden.
Rechtfertigt das Album, dass die Band im Dezember im Rahmen der Persistence Tour schon zum dritten Mal in einem Jahr auf Europa-Tour kommt? Das tut es. Denn wer die Band schon einmal live gesehen hat, weiß, dass sie halten kann, was sie auf den Aufnahmen verspricht. Und die Tour mit Miles Away hat gezeigt, dass auch neue Songs wie Lock and Key oder Day or Darkness live bestens funktionieren.
Trotz zwei solider Alben auf Bridge9 hat die Band aus Portland, Maine noch Potenzial nach oben. Vielleicht gelingt es ja, den Sound auf dem nächsten Output zu maximieren. „Lock and Key“ war jedenfalls nah dran.

Tracklist:

1. Lock and Key
2. Cruel Hand
3. Day or Darkness
4. Broken Glass
5. Labyrinth
6. One Cold Face
7. Rotations of Hurt
8. Dismissed
9. Two-Fold
10. The Bottom (of Munjoy Hill)

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Marcel

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