Every now and then braucht jede Szene einen neuen Kick und auch das eckigste Genre eine frische Brise. Alternative Gitarrenmusik heißt dann plötzlich "Collegerock" oder "Emo" - später lieber "Poppunk". Mode, Trends, Schubladen - die Palette überrumpelt den einfachen Musikbegeisterten von gestern gleich morgen. Für Basser Gary Cioni und seine Freunde Mike, Derrick, Tym und Matt ist das Schnee von gestern: Mit LATTERMAN, CRIME IN STEREO oder BRIDGE AND TUNNEL teil(t)en sie sich nicht bloß Bus, Bühne und Bett, sondern auch ganze Lebensabschnitte. "Twelve Years" nistet sich zwanzigzwölf in einer großzügig wattierten Schublade ein und lädt Kritiker, Fans und Scheuklappenträger gleichmaßen ein, mit Benzinkanister und Streichholz vorbeizuschauen.
Wenn der ohne Nachnamen geborene Frontmann Tym Wahrheiten wie "Nothing Truly Great Ever Comes Easy, So Come On And Struggle With Me" in seine Textzeilen einreiht, möchte man ihn sofort auf ein gekühltes Root Beer einladen und dem unscheinbaren Sänger feierlich den Rest des Abends überreichen. Seiner Band DAYTRADER und dessen Debütalbum gelingt ab dem vorsichtigen Intro zu "Deadfriends" über den hymnisch drückenden Rocksong "If You Need It" bis zur brachliegenden Seele in "Skin & Bones" ein akustischer Fesselgriff Marke Castortransport, der über sechsunddreißig Minuten an- und zugleich in Schacht hält. Einfache und eigentlich ungefährlich dosierte Zutaten wie JIMMY EAT WORLD´s Feinmotorik, dem Arrangementgespür der Schweizer FAVEZ oder die einknickende Stimme von BAYSIDEs Anthony Raneri braut die Band aus Long Island wirkungsvoll zu emotionalen Siegerurkunden wie zum Beispiel "Lost Between The Coasts" zusammen. "Silver Graves" oder "Firebreather" stützen "Twelve Years" mit Melodiegeschick und Stimmgewalt und verschaffen dem Album eine gehörige Dosis Rückgrat und ein stetiges Fundament, welches Adam Lazzara, Chris Conley oder Jeremy Enigk beim Durchhören Luftsprünge entlocken dürfte. DAYTRADER greifen nach der 2011er EP "Last Days Of Rome" erneut tief in die Kiste der Ursprünge und Lebenswegweiser und holen so die (verloren geglaubte?) Charakteristik des New Yorker Großraums der frühen 00er Jahre genauso zurück, wie sie mit einem brillianten Spektrum aus Gefühl und Energie ihre eigene verdichten.
Die Songs auf "Twelve Years" strotzen und klingeln, obgleich wie im Falle "After Image" füllig und effizient - oder beim akustischen "Heard It In A Song" mit verhaltenem Cello und Lastenesel-Lyrik: "Bars, Bedrooms And Basements - Remember To Forget, Close The Door And Leave Me In Here..."
Every now and then braucht die übersättigte Szene auch ein Highlight. Ein Wachrütteln, eine klare Ansage. DAYTRADER sind weder vorlaut noch überheblich wenn sie eine Zeile wie "And Don´t You Ever Say `We´re Destined To Be Great´ im Opener schmettern, die aus dem Bauch heraus mitgegröhlt werden will. Man hört und merkt es ihnen und "Twelve Years" jedoch schnell an: Hier gehen Herz und Verstand Hand in Hand.
Und eben so wie DAYTRADER es in der Vergangenheit gelernt haben, trägt einer das Benzin, der andere das Streichholz.
Trackliste:
01. Deadfriends
02. If You Need It
03. Firebreather
04. Skin & Bones
05. Lost Between The Coasts
06. After Image
07. Struggle With Me
08. Silver Graves
09. Heard It In A Song
10. Letter To A Former Lover