Eigentlich ist die Rechnung doch völlig banal im Hause DECAPITATED: Sänger weg, Bassist weg, Drummer (und was für einer!) tot - was soll da noch kommen? Vor allem nach einem so monumentalen Album wie „Organic Hallucinosis“, von dessen Sorte man nur eines im Laufe seiner Karriere schreibt – wenn überhaupt?! Doch manchmal reicht es nicht, Eins plus Eins zusammen zu zählen. Denn: Was wäre, wenn man es doch irgendwie schaffen würde, einen so unersetzlichen Drummer wie Witold ‚Vitek‘ Kieltyka durch ein ebenwürdiges Pendant zu ersetzen? Was ist, wenn das auch mit dem Sänger und Bassisten gelingt? Und was ist, wenn man noch diesen völlig unterschätzten Waclaw ‚Vogg‘ Kieltyka bedenkt, der da im Hintergrund immer für großes sorgte? Dessen Stil zwar nicht sonderlich technisch ist, sich aber so anhört; dem es in erster Linie bei seinen Songs um Atmosphäre und Momente geht, die bei aller Brachialität tiefer gehen? Nein, so einfach ist die Rechnung nicht.
Legen wir die Karten doch einfach auf den Tisch: DECAPITATED haben ausgerechnet jetzt ihr bislang bestes Album abgeliefert – und das will nach dem nachhallenden letzten Album verdammt viel heißen! Und vielleicht sogar mehr als das, weit über den Radius ihres Banddaseins hinaus – vielleicht sogar viel mehr als das.
Das mag jetzt alles sehr subjektiv klingen, und mein Gott, dass ist es auch, wie soll es auch anders sein?! Doch was soll ich sagen: Auch Wochen nach dem ersten Hören bin ich immer noch fasziniert davon, was dieses Album mit mir macht. Lange ist es her dass mich ein Metal-Album auf eine derartige Weise gefesselt hat, und immer wieder schafft es dieses Album, mir aufs Neue diese Gänsehaut über meinen Körper zu zaubern.
Dabei wirkt doch alles zunächst so harmlos: „Gut“, dachte ich mir, „sie fackeln nicht lange, sie kommen direkt zur Sache – und wie!“. Das ist doch nach allem nicht das schlechteste. DECAPITATED, immer noch irgendwie vom Sound der letzten Platte geprägt, aber halt in erster Linie straight und brachial. Doch schon hier beeindruckt die Kälte des Sounds; ein Gefühl, wie es nur wenige Alben auf ihre unheimliche Art auslösen, beispielsweise die großartige „Solace“ von ION DISSONANCE. Und natürlich musste da nach und nach mehr kommen. Erstmal: sie hören nicht auf mit dieser kalten Aggressivität. Stur bolzen sich DECAPITATED weiter; mit Gitarrenriffs, die in ihrer erdrückenden Gleichmäßigkeit ähnlich wie MESHUGGAH zuletzt auf „Obzen“ eine fast schon klaustrophobische Stimmung schaffen. Dazu ein sich ähnlich verausgabender Sänger mit einer ähnlichen Kälte in der Stimme und einem Drumming, dass bei aller Technik in erster Linie die Stimmung des Songs unterstreicht und das Tempo anheizt.
Und zwischen diesem MESHUGGAH-esken Mix aus erschlagender Gewalt und erdrückender Monotonie (ohne sich aber dabei im Sound wirklich an MESHUGGAH anzunähern – auf „Carnival Is Forever“ gibt es natürlich wie gehabt weder Polyrhythmik noch 8-Saiter) kommt dann eben auch eine wirklich unter die Haut gehende Atmosphäre, die sich nicht nur durch ihre reine Aggressivität ergibt. Weit hallende Soli neben weiter galoppierenden instrumentalen Meisterleistungen, (halb-)akustische Zwischenspiele und Effekte wie im fast 9-minütigen Titeltrack, die schlichtweg unheimlich sind, ach und by the way: Wer wissen möchte, was so besonders an dieser Platte ist, soll eben diesen Titeltrack mal in voller Länge und mit voller Aufmerksamkeit hören. Nicht, dass in all diesen Minuten viel passieren würde (die entscheidenden Elemente sind in der Tat mit der Hand abzählbar). Doch ähnlich wie bei MESHUGGAH reichen hier schon wenige Akzente, um wirklich (wirklich!) unter die Haut zu gehen.
Ich gehe auf die Knie, verneige mich vor diesem Album und bedanke mich. Sollen die Leute anderer Meinung sein, sollen sie mich beschimpfen, aber für mich hat das Metal-Jahr 2011 mit „Carnival Is Forever“ ein Highlight vorgelegt, dass man eigentlich nicht mehr toppen kann. DECAPITATED – spätestens mit diesem Album die wohl unterschätzteste Death-Metal-Band der Welt, und ein schönes und ganz unkitschiges Beispiel dafür was im Leben noch so kommen kann, selbst wenn alles völlig aussichtslos erscheint.
Tracklist:
01. The Knife
02. United
03. Carnival Is Forever
04. Homo Sum
05. 404
06. A View From A Hole
07. Pest
08. Silence