„They say it's murder on your folk career, To make a rock record with the disappeared“ („Mall Of America“) - und er tat es dennoch. Conor Oberst, emotionaler Singer-Songwriter, Muse aller Folk-Liebhaber, der Mann mit den großen, traurigen Augen, drehte dem Folk den Rücken zu und startete mit seiner Rockband DESAPARECIDOS durch. Das ist jetzt aber schon gute 13 Jahre her. Und lange währte dieser Ausbruch auch nicht. Nach der Veröffentlichung von "Read Music/Speak Spanish" im Jahr 2002 wurde es schnell wieder ruhig um die Band. Klar, gerade Sänger Oberst hat mit seinen musikalischen Projekten rund um BRIGHT EYES, MONSTERS OF FOLK und den Solowerken viel um die Ohren.
Anscheinend hatten die Jungs dennoch wieder Bock auf eine mächtige Portion Punk-Rock. Zwar haben sie nie eine offizielle Trennung verlauten lassen, traten jedoch erst 2010 wieder gemeinsam, zugunsten des von Oberst organisierten „Concert For Equality“ in Omaha auf. Und nun, fünf Jahre später, ist die Zeit reif für ein neues Album. "Payola" heißt das Werk und wird spannend erwartet. Wie sehr unterscheidet es sich von seinem Vorgänger, welcher nun immerhin schon mehr als ein Jahrzehnt auf dem Buckel hat?
Die Meinung nach erstem Reinhören: Laut und melodisch. Anders als bei "Read Music/Speak Spanish" wirken die Songs eingängiger. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass Oberst seine Emotionalität verloren hat. Ganz im Gegenteil: Wie gewohnt schreit, jammert und klagt er sich durch das gesamte Album. Der Vorgänger hatte dennoch mehr Ecken und Kanten und bestach durch einen krasseren Wechsel von Tempo sowie Geschrei/Gesang. "Payola" ist da gewiss „einfacher“ und wird wohl gerade wegen dieser Massentauglichkeit einem größeren Publikum gefallen. Wer sich ein wenig mit der Band auskennt, wird einige Songs auf dem Album schon kennen. "Payola" ist nämlich während eines längeren Prozesses entstanden, und vorab wurden seit 2012 sechs Songs veröffentlicht, die man jetzt auf dem neuen Werk ebenfalls hören kann. Für den ein oder anderen Kenner wird das wahrscheinlich eine Enttäuschung sein, doch ein kleiner Trost: Ganze acht brandneue Songs warten nur darauf, gespielt zu werden.
Doch wie steht es textlich um das neue Album? Schon auf "Read Music/Speak Spanish" äußerten sich DESAPARECIDOS kritisch gegenüber dem System. Da merkte man gleich, dass alle Jungs ursprünglich aus der Punk/Hardcore-Szene stammen. Und auch auf "Payola" nehmen sie kein Blatt vor den Mund. Schon allein der Albumtitel lässt darauf schließen, dass sie einiges zu sagen haben. Für die, die es nicht wissen: Payola steht für „pay for play“, das beschreibt die Bestechung von Redakteuren und Sendern durch Plattenfirmen, so dass bestimmte Songs häufiger gespielt und damit der Bekanntheitsgrad sowie die Verkaufszahlen in die Höhe getrieben werden.
„We’ll all get rich together in America“ („City on the Hill“) singt Oberst. Geradezu sarkastisch, wenn man sich das dazugehörige Video anschaut. Übermäßiger Fast-Food-Konsum und die Verführung durch die Lebensmittelindustrie stehen dem gängigen Schönheitsideal gegenüber. Dicke Amerikaner, die Burger in sich hineinfressen und daneben dürre Mädchen, die sich aus Verzweiflung den Finger in den Hals schieben. Eine fromme Familie ist heilig und doch findet man an jeder Ecke Sex, Drogen und Alkohol. Einer Konsumgesellschaft wird der Spiegel vor das Gesicht gehalten. Einer muss es ja tun, denn der Durchschnittsbürger empfindet „ (…)no guilt, regret or shame, It just had to be this way“ (City on the Hill“). Keiner fühlt sich für die Vergehen schuldig und lebt weiter in einer isolierten Blase, die all die Schrecken um einen herum abstößt.
„If there is anything great left in this sorry state it was built on the backs of the poor“ („Anonymous“) - DESAPARECIDOS finden eindeutige Worte und beschönigen nichts. Keine Metaphern, keine Umschreibungen, die Jungs sagen ganz deutlich, wie es in Amerika zugeht. Die Musik dazu strotzt, passend zur Message, vor Energie. DESAPARECIDOS sind also lautstark zurückgekehrt und konnten dies bereits auf dem diesjährigen Coachella Festival beweisen, wo sie sich die Bühne mit JOYCE MANOR and TOUCHÉ AMORÉ teilten. So eine Wiederkehr macht Eindruck und Vorfreude auf die Veröffentlichung. "Payola" ist laut, schnell und rotzig- das gefällt!