Über den Sinn und Unsinn von Live-Alben kann man ja vortrefflich streiten, besonders wenn es sich nicht um die erste solche Veröffentlichung einer Band handelt. Im Falle von ENTER SHIKARI ist das kürzlich erschienene "Live At Alexandra Palace" sogar schon das sechste Live-Dokument; seit 2009 bringen die Briten in schöner Regelmäßigkeit und in Eigenregie offizielle Bootlegs ihrer denkwürdigsten Konzerte unters Volk (,wobei sich die Bezeichnungen "offiziell" und "Bootleg" ja irgendwie ausschließen). Teilweise gab es diese Veröffentlichungen zwar nur in limitierter Form, trotzdem ist die Frage nach der Notwendigkeit der aktuellen Live-Scheibe durchaus gerechtfertigt. ENTER SHIKARI blicken schließlich bisher nur auf vier Studioalben zurück, womit die Live-Alben der Truppe aus Hertfordshire inzwischen in der Überzahl sind und unvermeidlicherweise deutliche Überschneidungen in der Songauswahl aufweisen. "Live At Alexandra Palace" berücksichtigt allerdings erstmals auch das aktuelle Studioalbum "The Mindsweep", was wiederum als klarer Pluspunkt zu werten ist.
Und egal wie man zur Live-Veröffentlichungswut von ENTER SHIKARI steht, inhaltlich gibt es an "Live At Alexandra Palace" nichts zu meckern. Die Songs tönen mitunter etwas wuchtiger als in den Studioversionen aus den Boxen, das Klangbild ist jedoch klar und differenziert. Anders als bei einer Punk- oder Metalband würde der Electro-Core der Briten auch nicht unbedingt von einem deutlich roheren Livesound profitieren; ENTER SHIKARI zocken ihr Material sauber runter und nur beim Gesang geraten die Herren hier und da mal etwas in Schieflage, das geschieht aber selten und ist verzeihlich. Die 16 Songs auf "Live At Alexandra Palace" bieten einen guten Querschnitt durch die Diskographie der Band und werden von teils idealistischen, teils zynischen und teils humorvollen Interludes miteinander verbunden, so dass im Verlauf des Gigs eine Art Hörspiel entsteht. Das Londoner Publikum und die Band sind zudem offensichtlich in bester Feierlaune; Fronter Rou Reynolds hat die Meute fest im Griff, überzeugt mit sympathischen Ansagen und animiert zum laustarken Mitmachen. Einer der stimmungsvollen Höhepunkte des Abends ist erreicht, als beim Song "Gandhi Mate, Gandhi" plötzlich die alles entscheidende Frage in den Raum geworfen wird: What would Robbie Williams do? Woraufhin die Band spontan "Angels" anstimmt, das Publikum lautstark mit einsteigt und man kurz das Gefühl hat, bei einem Stadionkonzert des Schmalzbarden gelandet zu sein. Very British indeed.
Ganz nüchtern betrachtet ist "Live At Alexandra Palace" also trotz der eingangs erwähnten Kritikpunkte eine ziemlich runde und unterhaltsame Angelegenheit geworden. Leider gibt es den Auftritt ausschließlich als Tondokument, das Videomaterial für eine mögliche DVD ist laut Homepage einer technischen Panne zum Opfer gefallen. Das ist insofern schade, da ENTER SHIKARI in der Regel mit der visuellen Untermalung ihrer Auftritte nicht zimperlich sind und für gewöhnlich eine zielmlich energiegeladene Performance hinlegen. Empfehlenswert ist "Live At Alexandra Palace" also besonders für all jene, die sich einen kompakten Überblick über das bisherige Schaffen der Band wünschen und für die das Fehlen bewegter Bilder verschmerzbar ist. Besitzt man bereits eine oder mehrere Veröffentlichungen aus der "Bootleg Series", so ist die Notwendigkeit einer Anschaffung zumindest fragwürdig.