Dass Metalcore und Elemente aus der elektronischen Tanzmusik einige Synergien aufweisen, ist gemeinhin bekannt. Nicht wenige Bands haben sich daran bereits versucht und der anfängliche Wow-Effekt eines neuartigen Sub-Genres hat sich langsam aber sicher zu einem Einheitsbrei geformt. Vielleicht ist das und die mittlerweile recht große Anzahl an Trittbrettfahrern ein Grund, warum mir ENTER SHIKARI bis jetzt entgangen ist – was mich selbst überrascht und etwas beschämt hat, denn diese Band hat es in sich und besitzt völlig zurecht eine nicht gerade kleine Fangemeinde. Aber genug abgeschweift, zu den Facts: Die seit immerhin 2003 bestehende Formation aus St Albans, England, bringt mit "Nothing is TRUE & everything is possible" ihr bereits achtes Album auf den Markt.
Mit "The Great Unknown" macht die Band eine solide Ansage. Der Song ist ein ausgewogener Mix zwischen Postcore und elektronischen Elementen, ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Im fröhlichem Schritte geht es mit dem elektronisch-poppig-rockigem Stück "Crossing the Rubicon" weiter. Deutlich unruhiger und dissonanter folgt "{ The Dreamer's Hotel }". Der Song ist gleichzeitig die Vorab-Single des Quartetts, aber seht selbst:
Einen bleibenden Eindruck hat bei mir "Waltzing off the Face of the Earth (I. Crescendo)" hinterlassen. Der Song bildet eine selten schöne Synthese aus klassischem Walzer (!) und elektronischen Elementen. Die folgenden Titel, wie das Doppelstück "modern living & apøcaholics anonymøus (main theme in B minor)", gehen deutlich ruhiger zu Werke. "the pressure's on" lehnt sich gar sehr stark an den modernen Pop-Rock alla Coldplay an.
Etwas überraschend mischt sich das Lied "Elegy For Extinction" in den Songstapel – eine klassische Komposition, welche ich eher in einem Disney-Film vermutet hätte. Nach diesem extremen Kontrast wirken die restlichen Ausflüge in andere Genres fast zahm - ein wenig House hier, etwas Rap da, gemischt mit einer ordentlichen Portion Pop-Rock, melodisch schön umgesetzt. Gegen Ende des Albums finde ich mich so langsam auf der, zugegebenermaßen sehr großen, musikalischen Spielweise von Enter Shikari zurecht. "Waltzing off the Face of the Earth (II. Piangevole)" ist dann die melancholisch experimentelle Endstation der Reise durch "Nothing Is True & Everything Is Possible".
Nach etwas Recherche kann ich mir vorstellen, dass bei dem ein oder anderen Stammhörer die Kritik aufkommen mag, die Band hätte sich weiter von ihren Wurzeln entfernt und dem Mainstream hingegeben. Tatsächlich wird man auf diesem Album – im Gegensatz zu deutlich älteren Musikstücken – bei Shouts nicht fündig. Ein abschließendes Fazit oder gar eine Universal-Empfehlung fällt hier auch nicht ganz einfach. Hier stehen sich, einerseits, einwandfreie Produktion und ein großes Maß an Experimentierfreude und, andererseits, sehr Pop-behafteten Musik mit nicht wenigen Anleihen aus dem Mainstream-Fließband gegenüber. Hier möchte ich allerdings betonen, dass mit „Anleihen“ lediglich einzelne Parts aus Songs gemeint sind – denn Mainstream ist "Nothing Is True & Everything Is Possible" keineswegs. Das Gesamtwerk ist sicherlich nichts für den Oldschool-Anbeter, Trve-Metaller oder auch Fans des typisch-rohem 90er Hardcores. Für alle, die es interessiert, wie sich ein gelungenes Crossover-Album anhört, ohne nur ein Aufguss bereits existierender Werke zu sein, wird sich diese Scheibe jedoch definitiv lohnen!