Aus einer (einseitigen) E-Mail-Korrespondenz mit Alexander Blake Schwarzenbach:
Lieber Herr Schwarzenbach (ich glaube Blake wäre zu persönlich; wir kennen uns noch nicht),
von einem Ihnen bekannten Labelmitarbeiter (ich glaube, Sie mögen keine Labels) erhielt ich Ihre E-Mail-Adresse. Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Keine Panik, nichts Hochtrabendes. Es geht um Ihre (gar nicht mal mehr so) neue Band. Ihre alten Bands kenne ich, aber bestimmt wollen Sie darüber nicht reden. Zumindest nicht mit mir. Das könnte ich mir zumindest vorstellen. Setzen Sie sich einfach hin und öffnen Sie ein Bier. Sie trinken doch Bier, oder? Unser Chefredakteur hört übrigens ausschließlich Bands, die so klingen wie eine Ihrer alten. Aber eine Ihrer alten Bands hört er nicht.
Lieber Herr Schwarzenbach,
haben Sie meine E-Mail in der letzten Woche erhalten? Glauben Sie mir, ich habe das Album nicht heruntergeladen. Ich habe das Album…Aber eigentlich ist das auch egal. Was war das eigentlich für eine Sache mit Ihrem Afro? Tippen wildfremde Menschen in Plattenläden in Brooklyn Ihnen manchmal auf die Schulter und singen Zeilen aus Jawbreaker-Songs? Hassen Sie die Welt oder nur, was wir daraus gemacht haben? Eigentlich mag ich Ihre Geschichten immer noch. Ich hoffe Sie ahnen, worum es mir geht. Neulich bin ich über Kerouac eingeschlafen. Ich halte ihn, mit Verlaub, für überbewertet.
Lieber Herr Schwarzenbach,
ich weiß, ich wollte nicht mit Ihnen über Ihre alten Bands sprechen. Aber wäre es vielleicht möglich, alle Jets To Brazil Alben auf Vinyl wiederzuveröffentlichen? Ich würde von jeder Platte mindestens ein Exemplar erstehen. Sind Sie gegen Kriege? Was sollen wir vergessen (der Name Ihrer aktuellen Band)? Ist man immer alleine, wenn man gegen alle ist und wie fühlt sich der Rest dabei? Einer muss sich immer aufreiben für die anderen. Sind Sie gerne nicht der Märtyrer, Herr Schwarzenbach?
Lieber Herr Schwarzenbach,
ich weiß nicht, ob ich meine Intention klar machen konnte. Bitte betrachten Sie alle vorhergegangenen Mails nicht als Belästigung. Ich möchte das Thema Schwarzenbach für unsere Leserschaft umkreisen. Ich möchte den wirklichen, den unverfälschten Blake Schwarzenbach. Wen sehen Sie, wenn Sie morgens in den Spiegel schauen? Das Spiegelei sunny side up? Und, bitte erlauben Sie mir diesen kleinen Seitenhieb…ach, vergessen Sie’s einfach. Schreibe ich Ihnen zu unscharf, wird Ihnen schwindelig davon?
Lieber Herr Schwarzenbach,
was noch zu sagen wäre: „I’ve got an Orange County feeling. I could fly this car into a building. And come out looking ten years younger. And baby, you look hot.“ Sie sehen also: ich habe das Album gehört. Solche Gefühle haben wir in Deutschland auch. Manchmal.
Lieber Herr Schwarzenbach,
immer noch keine Antwort? Vielleicht touren Sie und haben keinen Internetzugang. Vielleicht kapseln Sie sich von der Außenwelt ab, um einen Roman zu schreiben. Vielleicht treffen Sie Pfahler und Bauermeister zum Frühstück (bacon and eggs)? Herr Schwarzenbach, die Vögel ziehen weiter. Heute brannte ein Auto auf unserer Straße lichterloh. Ich lese die Zeichen. Etwas liegt in der Luft. Ich glaube, ich habe die vage Ahnung einer ungefähren Vorstellung einer Idee Ihres Schmerzes, Herr Schwarzenbach. Und wie bitte schaffen Sie es, Ihre Songs immer so zu strecken, ohne dass sie langweilig werden?
Lieber Herr Schwarzenbach,
langsam verliere ich die Geduld. Sind Sie wirklich so ein elitärer Punkrockarsch? Hält es deshalb keiner mit Ihnen länger aus als höchstens zehn Jahre (mit Pausen) in ein und derselben Band? Man kann sich seiner Vergangenheit nicht erwehren, Herr Schwarzenbach. Verweigerung wird irgendwann zum Selbstzweck. Chuck Ragan hat mir geantwortet, der Typ von Texas Is The Reason hat mir geantwortet und Jason Beebout hat immer noch seinen Humor. Was ist mehr Punkrock, Herr Schwarzenbach, Literatur, die Universität oder Computerspielemagazine? Wie oft träumen Sie von Billie Joe Armstrong, Herr Schwarzenbach, wie oft? Ich habe mit den Wölfen geheult, Herr Schwarzenbach, mit den W-Ö-L-F-E-N. In 'Jet Black' haben Sie sich verspielt, das weiß ich. Ich kenne Ihre Fehler, Herr Schwarzenbach, ich kenne Ihre Fehler.
Lieber Herr Schwarzenbach,
vielleicht (sehr wahrscheinlich) habe ich mich in meiner letzten E-Mail in meinem Ton vergriffen. Das tut mir leid. Ich wollte lediglich die Dringlichkeit meines Vorhabens unterstreichen. Herr Schwarzenbach, die Zeit läuft uns davon. Wann hat Ihnen zuletzt jemand in Ihren offenen Mund gespuckt? Brauchen wir nicht alle das Gefühl der totalen Niederlage (wenigstens einmal im Leben), um aus unserer eigenen Asche als ein Neuer hervorzutreten? Bitte verzeihen Sie mein Pathos, Herr Schwarzenbach, aber an diesem einen Tag, als ich am Wasser stand, da haben Sie mir mein Leben gerettet.
Lieber Herr Schwarzenbach,
die Zeit drängt. Leider habe ich das Gefühl, dass Sie mir nicht mehr antworten werden. Heute nicht und morgen auch nicht. Damit zerfällt das Projekt. Die Vögel haben in jüngster Zeit immer weniger gesungen, wir erwarten den ersten Schnee. Ich habe Ihnen den Versuch einer Rezension in den Anhang dieser Mail gepackt. Lesen Sie den Text oder drucken Sie ihn aus und verbrennen Sie ihn. Mir ist es egal. Der Text ist nicht komplett, enthält aber alles, was ich zu diesem Album zu schreiben imstande gewesen bin. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, ich kann nicht anders. Und vielleicht überlegen Sie es sich ja doch noch anders. Ich freue mich über Antworten. Nein, falsch, eine Antwort würde mir schon reichen. Ein einziger Satz. In meinem Herzen sind Sie immer ein Held geblieben, Herr Schwarzenbach. Und bitte sehen Sie über etwaige Fehler hinweg: hier gibt es kein Lektorat. Hier darf jeder ran. Ich verbleibe mit den besten Grüßen.
forgetters
forgetters
Mehr Understatement und Lebensdrama als Blake Schwarzenbach (Ikone, Dichter, Videospielerezensent) geht ja eigentlich überhaupt nicht. Und es ist schon sehr erstaunlich, wie sehr er sich abrackert, wirklich niemanden wissen zu lassen, dass es auch ein Leben nach JAWBREAKER und JETS TO BRAZIL gibt. Wer das Debütalbum seiner mittlerweile vierten Band auf dem Zettel hatte, bitte melden. Das Leben besteht aus Zwischenüberschriften.
forgetters (…and we met again for the first time)
Leben ist vergessen, maximal. forgetters (kleines „f“, kein „the“) sind: eine Band. Beinahe wirkt es so, als wolle Blake Schwarzenbach, wenn er seine Vergangenheit schon nicht gänzlich auslöschen kann, zumindest nicht mit der Tür ins Haus fallen. Informationen über forgetters jedenfalls gibt es nicht viele. Nicht, dass sie irgendwas verheimlichen wollten. Es ist schlichtweg nicht wichtig. forgetters (heute) sind: Kevin Mahon (AGAINST ME!, Jahre her), Michelle Proffit und eben Blake Schwarzenbach. forgetters haben kein Album aufgenommen, das erst zu klein und Jahre später (zu spät) viel zu groß geredet wird ("Dear You"). Nein, "forgetters" besitzt exakt die richtige Größe (too small to fail?), wenn es sich erst einmal gesund gewachsen hat. An dieser Platte wird keine Band zerbrechen. Hören sollte man sie trotzdem, nicht nur als kultischer Verehrer von all things Schwarzenbach. Zum Beispiel 'Lie Artist': wie sich der Song mühevoll ins Tageslicht vortastet und eigentlich zu viel Zeit mit Feedback verbringt. Nein, ein euphorisches Album ist "forgetters" nicht geworden. Eher: Punk noir.
Was kann Punk? (After all, it's not that bad. I still have pictures. I look back at all the things that we once did.)
Dabei ist das alles überhaupt nicht so rückwärtsgewandt, wie man meinen könnte. Die integralen Bestandteile sind klar. Ein Bisschen DC, ein Wenig Folk, das Britische, das Blake Schwarzenbach so schätzt, JAWBREAKER im Subtext (logisch), aber schon ein eigenes Biest. "forgetters" erinnert unweigerlich an eine Zeit der Möglichkeiten: plötzlich war es denkbar, dass Bands wie JAWBOX (J. Robbins hat hier auch aufgenommen), SAMIAM oder SUNNY DAY REAL ESTATE mit ihrer Musik breitenwirksam Erfolg würden haben können. Erfolg im Konjunktiv wohlgemerkt. Denn es kam natürlich anders. forgetters konservieren diesen Geist unverfälschten, in sich gebrochenen und lebensrauen Punkrocks in Moll, der auf den Song vertraut und nicht auf das Image (trotzdem gibt es keinen Punk ohne Bilder). forgetters sind Zeitreisende, bestehen aber durchaus im Jetzt. Punk ist Erinnerungsmusik. Punk ist Introspektion. Zum Beispiel 'I’m Not Immune': Als hätten JETS TO BRAZIL das Tageslicht ein wenig gedimmt und Morrissey zum Leichenschmaus eingeladen. Am Ende die Streicher und die Sprachsamples. So entstehen wahrhaft große Songs.
Schreibwerkstatt (I dot my t’s and cross my i’s. Pretend that I can write.)
Kunst und Literatur gehören zu dieser Band. Das war schon so in den Vorgängerbands und in den Pausen von den Vorgängerbands. "forgetters" ist existentialistischer Bücherwurm-Punk, ohne Zeigefinger, ohne Besserwissereien. Das Gefühl, das Punk (nennt es ruhig Emo) nach all den Jahren noch – pardon – Kunst sein kann. Kunst sein muss. Überlebenskunst, Beobachtungskunst, Beschreibungskunst. forgetters klopfen nicht unnötig hart auf irgendwelche Schultern, bauen jedoch auch keine Mauern aus purem Intellekt. Hier darf jeder mit. Und die weiterhin einzigartige Fähigkeit, einen eigentlich unkomplizierten Song unnachahmlich unlangweilig nach vorne zu spielen. Zum Beispiel 'O Deadly Death': Blake Schwarzenbach umarmt den Tod (O razor thrills, you sing my arms to life). Matt Skibba und Freunde von "Dear You" lieben diesen Song. Jetzt schon. "forgetters" ist ein in sich gekehrtes, an den Erfahrungen zurecht gestutztes, erwachsenes Album geworden. Unterm Strich also das Beste, was zu erwarten war.
The shape of punk that never was (I think I’m the sum of what's before and what's to come.)
Zum Beispiel 'In America': die Analyse amerikanischer Befindlichkeiten in einem sechsminütigen Song, der eigentlich ein Gedicht ist über Verfall und das Falsche und Langeweile. Direkt an den Anfang hat sich ein Piano verirrt, Schwarzenbach gibt den gnadenlosen Erzähler (In America everyone is miserable and so mad). Dräuende Synthies, klopfende Bassdrum, ein PJ Harvey-Moment (Let America Shake) und reduzierte Geschwindigkeit. Zeit, mit dem Vergessen anzufangen.
Tracklist:
01: Strike
02: Lie Artist
03: I’m Not Immune
04: Turn Away
05: Hoop and Swan
06: Die by Your Own Hand (CD-only)
07: O Deadly Death
08: Les Arrivistes (CD-only)
09: In America
10: Seconds (THE HUMAN LEAGUE-Cover)
11: Ribbonhead