Plattenkritik

Gallows - Grey Britain

Redaktions-Rating

Info

Release Date: 01.05.2009
Datum Review: 29.04.2009

Gallows - Grey Britain

 

 

Das dürfte vielen gar nicht schmecken: Das wahrscheinlich beste, wütendste, authentischste, düsterste und energiegeladenste Hardcore-Album des Jahres erscheint auf einem Major Label.

Ein wirklich hervorragendes Album hat man den GALLOWS ja schon 2007 mit ihrem Debüt "Orchestra of Wolves" attestiert. Aber mal ehrlich – schon allein weil man so lange auf ein Lebenszeichen der Herren gewartet hat rechnete tendenziell niemand mehr mit den kantigen Typen aus England.

Doch jetzt sind sie zurück mit ihrem "Great Britain". Endlich. Ja endlich. Endlich wird eine Band von der Insel keine Hallen mit kreischenden Mädels füllen, nein – Endlich wird noch mal ein kleiner Club völlig zerlegt. Denn anders wird man es nicht nennen können wenn Frank Carter seine wütenden Hasstiraden auf das Publikum und in die Welt hinausbrüllt. Nein, anders kann man dieses radikale Meisterwerk nicht beschreiben.

Das beginnt schon bei dem grandiosen Opener "The Riverbank". Mit unheimlicher musikalischer Untermalung eines Horrorfilms bahnt sich der erste obligatorische Wutanfall an. Unfassbar, welche Energie Carter hier freisetzt und in schepperndem Mid-Tempo losschreit. Es lässt sich freien Lauf. Seinem Missmut über die Welt und seiner Heimat.

Das nachfolgende "London is the Reason" bietet Gang-Shouts und mal wieder unfassbare Energien die sich wie ein Roter Faden durch das gesamte Album zieht. Ebenso wie Spannung wie "I Dread the Night" eindrucksvoll zeigt. Jedoch ist eines allgegenwärtig – die Schlachtrufe, die Wut die mitreißen soll – und es tut. Nahezu jeder Song lädt ein, seinen Energien freien Lauf zu lassen und selbst wenn es scheint, als wolle Carter sich versöhnen explodiert er im Nachhinein doch wie das Album-Highlight "The Vulture Acts" beweist.

Ein unfassbar energisches und wütendes Album welches von der düsteren Atmosphäre und der angepissten Art von Frontmann Carter lebt.

"Great Britain is fucking Dead"

Raphael

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Staring at the rude bois

Ich konnte meine Skepsis kaum verbergen, wenn in den letzten Jahren im UK eine neue Band auf das Podest des baldigen, unvermeidlichen und angeblich völlig verdienten Erfolgs gehievt wurde. Allzu oft folgte eine ermüdende Ernüchterung ob der zigten belanglosen The-Band. (Warum haben eigentlich Franz Ferdinand kein The im Namen?) Nicht selten profitierte die blanke Möglichkeit des Hypes auf dem jugendlichen Alter vieler Hörer. Denn wie stark kratzt es doch am Nimbus so mancher besserer Drecksgruppe, dass sie schlicht eins zu eins Sound und Gestus echter Wegbereiter wie Joy Division und The Cure (ein the…) stehlen?

Die Band GALLOWS wollte ebenfalls gerne ein The im Namen tragen. Für meine eigene Bereitschaft ihnen volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen wohl ein Schicksalswink, dass sie es unterließen. Auch diese Band aus der Nachbarschaft Londons weiß geflissentlich darum, dass es eine musikalisch prägsame Zeit vor ihnen gab. Sie schauen dabei jedoch vor allem über den Atlantik in Richtung der Hardcore-Punk-Hochburgen wie Washington. Unverkennbar zitieren sie in ihren Uptempo-Nummern Genregrößen der 80er, die in einer ersten Welle noch deutlich raueren und punklastigeren Hardcore spielten. Damit jedoch sind die Fußstapfen von GALLOWS nicht auszumessen, denn sie paaren dessen politisch-musikalische Attitüde mit Screamo und Emo eher modernerer Couleur. Und selbst ein dissonantes Riff Marke Converge schimmert in einem Track wie „Black Eyes“ durch. Hier verkauft keiner blanken Retro.

Es wird klar, dass nicht bloß mit drei Akkorden der Weg beschritten werden soll, sondern durchaus fein austarriert. Die Geschlossenheit und das Köpfchen der Platte erschließt sich nicht zuletzt auch an dem klammernden Konzept: „Grey Britain“ nicht nur als naives Wortspiel, sondern als ernstzunehmende Überschrift einer Platte die genau dies vermittelt. Politik zurück auf der Landkarte – und das ohne den aktionistischen Gestus, sondern in tiefster Ernüchterung. Soundtrackartig verweben sie die Songs mit kleinen Intermezzi, Wellenschlag, Streicher und Pro- wie Epilog inklusive. War eines der grundlegenden Paradigmen der Hardcorebewegung eigentlich noch das Sabotieren des No-Future-Lifestyles der späten Punkszene, ist dieses Album mit jeder Faser düster und grau. Es kommt pessimistisch und misanthrop daher - jedoch ohne ein naives „Die da oben“.

Und doch schweißt die Platte insgeheim zusammen, artikuliert was zum Gründungsmythos des Hardcore gehört: Sie lässt einen bei „Death Voices“ in einem gefährlich eingängigen Refrain aus voller Kehle mitgrölen. Dabei wird schnell eines klar: entweder ich hätte gerne die Stimme des 2 Meter-Brockens Pete Steele oder jene des schmächtigen tätowierten Hassbatzens Frank Carter.
Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich letztmals eine derart kaputte, rotzige Pissigkeit erleben durfte. Ohne ihn wäre diese Band eine Entdeckung, mit ihm ist sie schlicht gewaltig. Ungesehen: Live stampft dieser Herr uns in Grund und Boden. Keinerlei Auflösungserscheinungen sind bei ihm zu beobachten und angenehmerweise hat zwei Jahre nach dem Debüt „Orchestra of Wolves“ keinerlei Abkühlung stattgefunden. Das Lebensgefühl scheint identisch zu sein, trotz Majordeal.

Spätestens der Groovepart in Misery zeigt: Die naive Härte einer Testosteron-Combo wie Hatebreed erscheint neben diesen mickrigen Schlacksen aus einem Londoner Vorort uninspiriert, plump, Roadrunner-mäßig. Die Gnade der Jugend, möchte man meinen, wenn man nicht um das schiere Handwerk der Komposition wüsste. Gleichwohl diese Band ohne Frage mit Brutalität und Agression zu Werke geht: Die Single „I dread the night“ mit einer derart großartigen hochmelodischen Bridge zu garnieren zeigt, wie sie geschickt das Muskelspiel nicht auf Dauer stellen. Hier lässt sie weite Teile der Epigonen des stumpfen Tough-Guy-Hardcores hinter sich. Gepaart mit einer modernen druckvollen Produktion, die dennoch in ihrer Direktheit Rotz zu transportieren vermag: Authentizität ist ein verbrauchter Begriff und doch hier so angemessen.
Der Hype hat vor allem einen echten Nachteil für jeden ohnehin geneigten Hörer: Entgegen seines Distinktionsbedürfnisses dürfte diese Band bald größere Hallen für bessere Geld vor deutlich mehr styleorientierten Hardcorekids spielen. Frank Carter wird sie wegputzen. Umso erstaunlicher, schien er doch längst im Establishment angekommen zu sein: Er lief 2008 den Laufsteg beim Designer Charles Anastase auf der Londoner Fashionweek.

Nick

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