HEY RUIN kommen aus Köln – "Poly" ist das zweite Album der Band. 2017 wurde es in der Underground- und Alternative-Presse hinauf und hinunter gelobt. Die Platte ist nun langsam verdaut und ich schließe mich dem Beifall an. Weil ich ein Mitläufer bin? Vielleicht bin ich es, aber nicht deswegen erachte ich "Poly" als eine der spannendsten und vielfältigsten Bindestrich-Indieplatten von 2017.
Was als 150. Abklatsch von TURBOSTAAT* in drei Wörtern vernichtend beschrieben werden könnte ist viel versierter. Da wäre die Brisanz und Ehrlichkeit der Texte auf der einen Seite, die Ruhe, fast schon Contenance des Sängers auf der anderen. Deswegen regte ich mich letztens auch (innerlich) auf, als der Musikblog Stageload provokant fragte: „Sind HEY RUIN die neuen Turbostaat?“ und ich antwortete mit einem FB-Kommentar: „Nein. Anders und ebenso gut.“
Die Texte auf POLY sind um einiges konkreter und lassen doch Raum für Interpretation. Mit „in den Containern sitzen Menschen...“ eröffnet das Stück „Ram“ und damit ist klar, welche Themen die Band in den Vordergrund beschäftigt. HEY RUIN zeigen klare Kante zum Menschensterben im dem Mittelmeer: „Für mich ist das Mord“. Im dem Album namensgebenden Song „Poly“ werden große Themen wie Mord, Wahrheit, und Ideologie in Form einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit dem (sichtbaren?) Rechtsruck verarbeitet.
In „Smells Like Teens“ folgt die Reflektion des Gefangenseins in der Bequemlichkeit des Alltags, in der sozialen Kontrolle sowie das krampfhafte dazu gehören zu wollen. Einen Schritt weiter in Richtung Nihilismus, Entzauberung und Katharsis geht „Über dem Abfluss“, das in ein Trompetensolo und weit entfernt klingendem Wahnsinnsgeschrei mündet.
In „Magneto“ wird das Tempo mit Noise-Punk wieder hochgefahren. In „Pinguine“ kommt der räumliche Sound der Drums besonders zur Geltung. Es findet ein musikalischer Turn statt - ein Song der Hoffnung macht. Diese epischen Momente tauchen auf „Poly“ immer wieder auf. So auch die thematischen Verweise, etwa auf „Cortextrouble“, wo Gewohnheit, das erwachsene Kind, Vergleichsdruck und der Drang nach Individualität erneut auftauchen. Auf „Mono“ folgt dann die selbstkritische Abrechnung mit dem Posertum und dem Wunsch nach Szenezugehörigkeit statt. „Miliz vor Ort“ ist der Versuch zu verstehen, warum rechte Wutbürger so viel Aufmerksamkeit erhalten. Auch hier eine thematische Wiederaufnahme.
„Poly“ ist kein einfaches Album – unter anderem deswegen erscheint dieser Kommentar auch knapp zwei Monate nach Veröffentlichung. Die Musik folgt keiner klassischen ABABCB-Songstruktur und ist doch harmonisch mit genuin interessanten sowie dissonanten Passagen. Die Texte sind - wie gesagt - explizit, bringen jedoch ihre eigene inhaltliche Kompliziertheit mit sich. Und das macht „Poly“ zu einem erwachsenen, keineswegs resignierten Album, das auch 2018 einen Kommentar verdient.
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* Der Name TURBOSTAAT fällt aufgrund des Vergleichs mit mehr oder minder gelungenen Nachahmungen fast öfter fällt als wenn es tatsächlich um die Band geht – schade.