Seine Hand an den Bauch gepresst taumelt der alte Mann durch die Prärie. Wo er auch hinsieht: Wüste, Sand, Hoffnungslosigkeit. Blut sickert durch seine Finger. Die finale Auseinandersetzung: er wird sie verlieren. Wie jeder Mensch. Der Teufel auf seiner Schulter kreischt es ihm unaufhörlich ins Ohr. Dennoch ist er auf der Suche. Nach Wasser, nach Heilung, nach Liebe. Vor allem anderen jedoch: nach Vergebung. Dies ist seine Geschichte. Nachhör- und fühlbar auf „Half Blood“, dem famosen neuen Werk von Jenks Miller, zumindest etwas besser bekannt unter dem Namen HORSEBACK.
Es ist ein Album, nein, ein knapp dreiviertelstündiges Monstrum, welches einem das Bandprojekt hier vor die Füße knallt, das zu verdauen nicht eben leicht fällt. Über den Nährwert braucht man sich jedenfalls keine Gedanken machen. „Half Blood“ ist weniger Fast Food, als vielmehr mit ausgesprochener Liebe zum Detail kreierte Molekularküche. In der Musik wie auch bei dieser progressiven Art des Kochens kommt es vor allem auf offensichtliche Widersprüche an. „Lachs mit Lakritzsoße“ übersetzt sich bei HORSEBACK beispielsweise in amerikanische Westernmusik mit Black Metal-Kreischgesang.
Was mindestens merkwürdig anmutet mutiert im Falle von „Half Blood“ erstaunlicherweise zu einem unglaublich einnehmenden Ganzen. Atmosphäre generiert sich hier aus bewusster Repetition einerseits und imposanten Breitwand-Drones andererseits. Nie jedoch verlieren HORSEBACK das große Ganze aus den Augen. Alleine dieser Punkt steht schon im krassen Gegensatz zum direkten Vorgänger „The Invisible Mountain“, den ich anno dazumal noch für seine Abwechslungsarmut und mangelnde Griffigkeit abgestraft habe. An diesem Eindruck hat sich nach wie vor nichts geändert. Umso erstaunlicher deshalb, wie fokussiert „Half Blood“ im direkten Vergleich klingt. Alle Teile greifen hier auf famose Art ineinander und erschaffen ein Bild des Unbehagens einerseits und der stillen Hoffnung, dass doch alles besser werden kann andererseits.
Die breitere Instrumentierung, derer sich HORSEBACK neuerdings bedienen leistet hierzu ihren Beitrag. Die seltene, dafür aber umso akzentuiertere Implementierung von Cleangesang und Piano-Einsatz sind für „Half Blood“ ein wahrer Segen. Lange nicht mehr habe ich eine Band gehört, das dermaßen pointiert und einnehmend auf der Klaviatur zwischen Reduktion und Soundmaximierung gespielt hat, ohne dabei einen der beiden Teile auch nur im geringsten zu vernachlässigen.
Am Ende liegt der alte Mann erschöpft im Staub. Seine letzte Stunde hat geschlagen und vor ihm tun sich Farben auf, von deren Existenz er im Laufe seines Lebens noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Überwältigt schließt er die Augen, sein Mund zu einem zufriedenen Grinsen verzogen und seine Arme weit von sich gestreckt. Zu seiner Überraschung stellt er fest, dass seine letzten Momente in diesem Dasein zugleich auch seine schönsten waren. Genau hiervon handelt „Half Blood“ und noch von vielem mehr. Lange nicht mehr funktionierte ein Album so famos über das vielbeschworene Kopfkino. Möge sich jeder seinen eigenen Film dazu vorstellen.
Tracklist:
1. „Mithras“
2. „Ahriman“
3. „Inheritance (The Changeling)“
4. „Arjuna“
5. „Hallucinogenia I: Hermetic Gifts“
6. „Hallucinogenia II: Spiritual Junk“
7. „Hallucinogenia III: The Emerald Tablet“