Was fällt einem eigentlich ein, zu versuchen eine so großartige Band zu besprechen? Eine Band deren Texte immer eine so große Anzahl an Interpretationsmöglichkeiten produzieren, wie sie Hörer haben? Man kann mit einem Review nur daneben liegen. Darum sei der einleitende Satz hier: Für die Richtigkeit der Angaben übernimmt die Autorin keine Haftung. Von der Richtigkeit- so es denn eine gibt- mag sich jeder und jede selbst überzeugen.
Grundsätzlich sei gesagt, dass KETTCAR auf ihrer neuen Platte weitaus versöhnlichere Klänge anschlagen als auf ihren Vorgängern. Musikalisch ruhiger, fahren sie teilweise unterstützt von Trompeten, Streichern und mehr Klavier in bluesige Gebiete. Die Gitarren krachen seltener. Öfter streichelt der Besen beide Trommelfelle. KETTCAR erfinden sich nicht gänzlich neu, verstärken nur Elemente, welche sie früher breits zu nutzen wussten.
Mit diesem musikalischen Elementen unterstreichen KETTCAR gekonnt die textlichen Inhalte. Gab es auf den Vorgängeralben immer mehrere Songs, die wachrüttelten, sich dagegen stemmten, gegen die unerträglichen Auswüchse der Gesellschaft, so sind diese Momente nun rar gesät. Das Vorgängeralbum "Sylt" war noch vollgestopft davon. "Schrilles, buntes Hamburg" ist ein versprengter Song mit dieser Qualität auf der aktuellen Platte. Und er repitiert auch "nur" die Inhalte, welche im Hamburg und andernorts schon zum guten Ton gehören: Gentrifizierung, die Kommerzialisierung der Kunst- und Kulturszene und der Mangel an der wahren Werterkennung von kulturellem Kapital. Ohne diese Inhalte wäre die Szene wohl nicht das, was sie meint zu sein. Das dürfen KETTCAR dann auch gerne besingen und man kann es ihnen nicht übel nehmen.
Andernorts strotzt "Zwischen den Runden" nur so vor Liebe. Liebe zu Menschen, zur Umgebung mit allem, was dazugehört. Aber keinesfalls beschränken sich KETTCAR hier darauf, nur die lichten und Trennungsmomente von Beziehungen auszuleuchten. Vielmehr suchen sie die Stellen, an denen Liebe anders ist und nicht lediglich mit Herzschmerz oder Herzplatzen Händchen hält. "Liebe ist nicht das, was man empfindet/ Nicht nur das, was man fühlt/ Nicht, was man voller Sehnsucht sucht/ Liebe ist das, was man tut." heißt es in "Rettung". Meiner Meinung nach einer der großartigsten Liebeslieder der letzten Jahre, der Song in welchem der Protagonist liebevoll Kotzebrocken aus den Haaren einer geliebten Person zupft. Ja, da ist die Liebe und eben auch in Ohlsdorf, wenn man Menschen auf Hamburgs größtem Friedhof zu Grabe trägt, eben "Zurück aus Ohlsdorf". Die Grenzen zwischen Freundschaft und Liebe werden von KETTCAR mit Leichtigkeit weggefegt. Zwischen Geburt und Tod kann die Liebe so viele Facetten haben und eben auch bis über den Tod hinaus halten. Und dann eben auch die, in denen vermeintliche Liebe sich so anfühlt, dass man gar nicht wissen möchte, was Krieg bedeutet. Aber zwischen den Runden ist immer Zeit sich den Schweiß abzuwischen und mal Luft zu holen.
Multiperspektivität, eine von KETTCARs unangefochtetenen Stärken und dafür kann man sie nur lieben. Dafür und für das Gefühl des Aufgehobenseins zwischen jeder ihrer Zeilen und Klänge. Wer dieses Gefühl nicht kennt, der höre sich bitte als erstes "Schwebend" an und denkt an den letzten freien Tag, als die Welt zwischen schlafen und wachen für ein paar Atemzüge bis ins letzte absolut in Ordnung war.
Tracklist:
1. Rettung
2. Im Club
3. Schwebend
4. R.I.P
5. Kommt ein Mann in die Bar
6. Weil ich es niemals so oft sagen werde
7. Schrilles buntes Hamburg
8. Nach Süden
9. In deinen Armen
10. Die apokalyptischen Reiter und das besorgte Pferd
11. Erkenschwick
12. Zurück aus Ohlsdorf