Der Opener 'First Kiss' klingt wie eine Mischung aus 'Only God Knows Why' und 'All Summer Long' - der aus dem mittleren Westen der USA stammende ehemalige White-Trash-Rapper KID ROCK scheint seine eigene Erfolgsrezeptur erneut auszuprobieren. Mit an Wahrheit angrenzender Wahrscheinlichkeit wird dieser Song eines jener Stücke, die das Mainstream- und Kommerzradio totdudeln wird. Eingängige Melodie und textlich geht es um vergangene Tage, in denen die Welt noch unendlich weit, wie die Ebenen Arizonas vor den Teenager-Füßen lag. Die erste große Liebe, bisschen fummeln, zu billigem Wein und dem allzu allmächtigen Rock´n´Roll.
Kaum vorstellbar, dass der nostalgisch verklärte Möchtegern-Südstaaten-Frauendisziplinierende-Whisykey-Trinkende-Cowboy gar kein Redneck ist, der in den ruralen Wäldern des Südens und Nordens mit Bären ringt, sondern seinen ersten Koitus in einem Kellerzimmer irgendwo in Michigan zu RUN DMC und PUBLIC ENEMY, mit Goldkettchen um den Hals hatte. KID ROCK ist kein Südstaatler. Doch hat er es seit dem Megaseller „American Badass“ mehr und mehr zu seinem Image gemacht. Erfolgreich, das muss man ihm lassen.
Die Anfänge legten Songs wie 'Cowboy' aus dem erfolgreichen Album „Devil Without A Cause“. Das grandiose Album wurde von einem noch mächtigeren („The History of Rock“) in den Schatten gestellt. Doch schien der Rapper-Country-Sänger-Jäger seinen Zenith erreicht zu haben. Somit wurde die Fahne des US-Patriotismus enervierend aufdringlich auf „Cocky“ und „Rock N Roll Jesus“ geschwungen.
Letztere Platte wurde durch das eingängige, aber unterirdische Cover des LYNYRD SKYNYRD Superhits 'Sweet Home Alabama' zum erneuten internationalen Erfolg. Dieses Lied ist, je nach Quellenlage, die bisher erfolgreichste Single-Auskopplung des US-Amerikaners. In eben diese Bresche will man mit „First Kiss“ nun erneut schlagen.
Das Cover sieht aus wie eine Retrospektive des 80er Synthie-Pops. Der Mann der früher sich selbst über alle Maßen glorifizierte und „My name is KIIIIIIIID...“ ins Mikro brüllte, legt sich nun auf Country-Anleihen und Singer-Songwriter Attitüde fest. Mit Liedern wie „Good Times, Cheap Wine“ oder 'Ain´t Enough Whiskey' frönt er dem Hobo-Stil und schielt dabei auf seine neue Zielgruppe aus den USA. Banjo, Tambourine, Selbstgebrannter (Moon-Shine), Blues-Harp, Hammondorgel und alles was man eben so in einer Blues-angehauchten Südstaaten-Kapelle erwarten würde. 'Drinking Beer With Dad' ist nahezu ein Plagiat des LYNYRD SKYNYRD Songs 'Simple Life', dazu ein pädagogisch-sinnvoller Text mit Potential zum Fremdschämen:
„Nowadays most things have changed / The whole world is heading down the drain / There´s no God in schools / Totin´ guns is the latest fad / A little discipline would sure be nice / A little lesson in wrong and right / Maybe it´s time young man to have a beer with dad.“
Kennt man sich ein bisschen in früheren lyrischen Werken des Proleten aus, dann mag man zurecht bezweifeln, dass Robert James Ritchie mit seinem Daddy, die Gitarre spielend und ein Bier trinkend auf der Veranda gesessen hat. Also, vielleicht war Bier dabei, aber der Rest...KID ROCK macht keinen Hehl aus seiner Ansicht, dass alle US-Bürger das Recht haben eine Waffe zu besitzen und zu benutzen. Er selbst scheint auch nicht der Typ Vater für jene besagte Unterrichtsstunde zu sein, obwohl, wenn man Ex-Frau Pam Anderson Glauben schenken mag, dann ist der Sänger nach ein oder zehn Bier durchaus in der Stimmung zu domestizieren. 'Good Time Looking For Me' und die verbliebenen Songs sind durchaus Stücke nach meinem persönlichen Gusto:
Bisschen flach produziert, dadurch wirkt die Musik sehr authentisch, zudem sind die Songs alle recht simpel gehalten und lassen viel Platz für die Geschichten des Künstlers und die eingängigen Melodien. Eine ziemlich coole Platte, die aber von originären Künstlern dieser Zunft wie SHERYL CROW oder HANK WILLIAMS III nicht weniger pathosgeladen, doch aber ehrlicher wirken würde. Dass KID ROCK sich mit dem Alter (zumindest musikalisch) Veränderungen anstrebt ist durchaus nachvollziehbar und ihm und seiner Stimme steht das egomane Südstaaten-Image (Anm.d.Verf.: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass dieses Stereotyp nicht generell zutrifft!) einfach sehr gut. Aber diese Profilneurose und das bigotte Predigen wirkt einfach nicht ehrlich. KID ROCK ist „this kinda guy“, ja, aber dieses Album wirkt wie das letzte: So ehrlich wie ein Kostüm auf einem Faschingsfest. Das ist schade. Denn KID ROCK könnte sehr, sehr viele interessante Geschichten erzählen. Von unten nach oben, von links nach rechts, von drin bis raus und wieder drin, von Suff und Groupies, von zerrütteter Familie und so weiter. Vielleicht erzählt er auf der nächsten Platte mal mehr aus seinem 'wirklichen' Leben.
Die Platte, beziehungsweise die Musik an sich, schmälert das textliche Manko nicht.
Wer auf Grund der oben zu lesenden Kritik meint ich würde KID ROCK nur verunglimpfen wollen, dem sei gesagt, dass die Scheiben "Devil Without A Cause" und "History of Rock" zu meinen Lieblingsplatten zählen. Da hat alles gepasst. Aber wenn man auf LS und Südstaaten-Hobo macht, muss man das auch einfach sein. Musikalisch ist "First Kiss" solide, um nicht zu sagen catchy. Aber es fehlt dem Album an Seele...mehr Robert, weniger Kid...es geht hier auch um Authentizität.