Plattenkritik

Killing The Dream - Lucky Me

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Release Date: 23.11.2010
Datum Review: 22.10.2010

Killing The Dream - Lucky Me

 

 

Wir, die Überlebenden… Vielleicht liegt es ja daran, dass Elijah Horner in jüngster Zeit so ausgiebig IRON & WINE gehört hat: KILLING THE DREAM jedenfalls klingen in diesen (knapp) sieben recht unvermittelt veröffentlichten Songs mutiger, zeitloser und hoffnungslos-euphorischer als je zuvor. Und das soll schon was heißen. Emotionenbeben galore. Eine formidable Bündelung gesammelter Stärken.

Ein Proberaum, irgendwo in Sacramento. Die Welt ist in Stücken, immer noch. Gitarren flirren, der Bass grummelt, der Schlagzeuger überschlägt sich, der Sänger verschluckt sich an purer Emotion. Keine Chöre, nirgends. Gemäßigte Kakophonie. In Gedanken stapeln sich Menschenleiber. Innehalten. Elijah Horner besieht seine Fingernägel, presst nachdenklich die Lippen aufeinander: „I think that jam could use some violins.“ Alle: „Violence?!” Er: “Violins!” “And for that other track I think some guest vocals would work. Why not ask that ex-DANCE GAVIN DANCE dude?” Ungläubige Blicke, eine kurze Pause. Dann: Kollektives Gelächter. Elijah Horner lacht nicht. Er meint es ernst. Sehr ernst sogar.

Was ist nur aus KILLING THE DREAM geworden? Die vielleicht größte, hyperemotionale moderne Hardcoreband der Jetzt-Zeit? Ein Genre braucht mal wieder was für seinen Kanon. Interessant, dass doch gerade der so obrigkeitskritische Hardcore beständig neue Helden sucht. Egal, die hier sind in Ordnung. Mehr als das. Aber immer der Reihe nach: Eigentlich ziemlich unglaublich, dass die fünf aus Kalifornien einst anfingen als KID DYNAMITE-Coverband. Dann jedoch ging alles ziemlich schnell. Eine Band fand ihren Weg, Gefühle zu verhandeln. Der überemotionale Powerhouse-Hardcore der Debüt-EP und "In Place Apart", die etwas differenziertere und abgründigere Anspannung von "Fractures", schließlich die Erkenntnis, dass nicht zwingend drei oder mehr Breakdowns hintereinander gestapelt werden müssen für einen zeitlosen Hardcore-Song voll Seele.

Nun also eine neues Überlebenszeichen. Groß angekündigt wurde hier nichts. Auf einmal war es da. "Lucky Me". Die persönliche Grenzfindung, reiß das Fenster auf zum Leben, sechs kurze Geschichten über Verlorene. Und die gehen so: Kein Füllmaterial, ausgefeiltere (filigranere) Gitarrenarbeit, sich immer wieder selbst ausbremsende, schlichtweg spannend arrangierte Songs und ein neu entdeckter Mut zum Experiment. Die Gitarren gleichermaßen gewachsen an stringenter Postrock-Opulenz ('Black') und hochmelodischem Hardcore(-Punk) ('Walking, Diseased'). Das Tempo noch weiter gedrosselt, irgendwer hat Elijah Horners Stimmbänder genmanipuliert. Da sitzen doch drei Dämonen drin in seinem Kopf, höchstpersönlich mit ihren Flüstertüten. Aufgenommen hat übrigens wieder, analog zu den Anfangstagen, Zack Ohren. Der Kreis schließt sich. KILLING THE DREAM haben mittlerweile ein untrügliches Gespür fürs Dramatische, das nicht klebt. Obwohl – ist das nicht Kurt Travis, den wir da in 'Testimony' hören, dieser kleinen klopfenden, tieftraurigen Coming-of-age-Geschichte? Und überhaupt, diese Streicher in 'Blame The Architects', die Pathossinne geben Dauerfeuer. „We are your children – Never learned to build…we just break.” Ja klar, das strotzt nur gerade zu vor Pathos. Ja klar, das ist trotzdem Teil eines der besten, weil gefühlsauthentischsten harten Songs des Jahres. Insgesamt keine Sekunde zu viel hier. Und ist das da etwa eine Gainesville-Anspielung in 'Past Of A Saint (We Were Thieves)'?

Interessant ist dabei vor allem, dass KILLING THE DREAM den Feind oftmals im Außen suchen, wo er doch bekanntermaßen im Inneren lauert. Interessant auch, dass "Lucky Me" bei aller Verzweiflung, bei jeglicher Gefühlschonungslosigkeit, so etwas wie ein leiser Optimismus eingeschrieben ist. Das bekommen in dieser Form nicht viele zeitgenössische (nennen wir sie einfach NICHT mehr „Modern Hardcore“-)Genrebands hin. Zum Schluss dann noch ein schöner Aphorismus, der zugleich Programm ist: “The lives we live are not the lives we love. So learn to love what you have before it’s gone.” Das halbwegs versöhnliche Ende. Die Hölle kann warten. Jetzt grinst auch Elijah Horner.

Tracklist:

01: Blame The Architects 3:27
02: Walking, Diseased 2:37
03: Testimony 3:07
04: Past Of A Saint (We Were Thieves) 2:35
05: Part IV (Sinner’s Failure) 1:17
06: Hell Can Wait 2:13
07: Black 3:50

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René

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