Mit "Disarm The Descent" lieferten KILLSWITCH ENGAGE im Jahr 2013, erneut verstärkt durch Urshouter Jesse Leach, ein frisches und überraschend brachiales Album ab, das den alten Herren des Metalcore nach den beiden relativ seichten und teilweise auch etwas zahnlosen Vorgängeralben wohl kaum noch jemand zugetraut hatte. Nun, 3 Jahre später, folgt mit "Incarnate" der nächste Streich und es stellt sich natürlich die Frage, ob die Mannen um Gitarrenclown/-superheld Adam Dutkiewicz an ihren zweiten Frühling anknüpfen können. Die endlose Diskussion, ob denn nun Howard Jones oder Jesse Leach der bessere Fronter ist, möchte ich hier weitestgehend außen vor lassen. Da hat ohnehin jeder seine eigene Meinung; ich vertrete jene, dass beide begnadete Sänger sind, die sich zumindest auf Platte nicht viel nehmen. Und so liefert Jesse Leach auch auf "Incarnate" erwartungsgemäß wieder einen großartigen Job ab.
Doch was kann man sonst zum neuen Songmaterial sagen? Nun, KILLSWITCH ENGAGE klingen noch immer zu 100% nach KILLSWITCH ENGAGE, am Signature Sound der Band hat sich auch anno 2016 nicht viel geändert. Schon der Opener "Alone I Stand" bläst dem Hörer sämtliche Trademarks der Amerikaner entgegen; gallopierende Thrashriffs, stampfende Hardcorerhythmen und melodische Leads treffen auf aggressive Shouts, die in einen epischen Chorus münden. Mit dem vorab augekoppelten "Hate By Design" findet sich der große Hit des Albums auch schon an zweiter Stelle. Der Song drückt Anfangs ordentlich aufs Gas und überrascht anschließend mit einem fast schon rockigen Refrain, der sofort ins Ohr geht und genau dort auch bleibt. Diese Nummer braucht sich vor den Großtaten der Vergangenheit nicht zu verstecken und wird bei zukünftigen Liveauftritten wohl zum Standard gehören. "Embrace The Journey" fällt durch seinen ausladenden Charakter auf, große Überraschungen sucht man aber ansonsten eher mit der Lupe. Ein Kracher wie "The Great Deceit" föhnt einem trotzdem gut das Haupthaar durch und der mächtige Groove von "Strength Of The Mind" weiß ebenso zu gefallen. Allgemein gibt es für den geneigten Fan wenig zu meckern, aber eben auch kaum Neues zu entdecken. Mit zunehmender Albumdauer hat man zudem hin und wieder das Gefühl, das ein oder andere Riff doch schonmal so oder so ähnlich auf einem früheren Output der Band gehört zu haben. Auch muss ich mal wieder feststellen, dass KILLSWITCH ENGAGE dann am besten funktionieren, wenn sie Brachiales mit melodischen Untertönen durchsetzen, nicht aber umgekehrt (das großartige "The End Of Heartache" sei hier mal ausgenommen). So rauscht jenes Songmaterial, bei dem man den Schwerpunkt eher auf den melodischen Aspekt gelegt hat, ein wenig uninspiriert an mir vorbei ("Cut Me Loose", "We Carry On").
Alles in Allem ist "Incarnate" ein weitestgehend gelungenes Album geworden, bei dem jeder Fan bedenkenlos zugreifen kann und ordentlich Futter finden wird. Allerdings scheint auch wieder ein wenig die Routine im Hause KILLSWITCH ENGAGE eingekehrt zu sein, so reiht sich die neue Platte in der Diskographie (weit) vor "As Daylight Dies" (2006) und "Killswitch Engage" (2009), aber doch ein Stück hinter den restlichen Alben der sympathischen Truppe ein.
Es bleibt abzuwarten, ob KILLSWITCH ENGAGE in Zukunft doch nochmal das ein oder andere Experiment wagen, oder ob sie sich in die Riege jener eigentlich großartigen Bands einreihen werden, die auf hohem Niveau stagnieren und es trotz qualitativ hochwertiger Outputs nicht mehr schaffen, in dem von ihnen mitbegründeten Genre Akzente zu setzen.