Die USA. Land der unbegrenzten Möglichkeiten, für Korruption, Spionage, Kriegstreiberei, Verschwörungen, Umweltzerstörung, Ausbeutung, religiösen Fanatismus, Medienkontrolle, Rassenwahn, Geheimdienste, verblendeten Patriotismus, plastische Chirurgie und adipöse Konsumgesellschaft.
Doch stehen die USA auch für viele Generationen an Musikern, die die Welt beeinflussten, mit Witz, Charme, bissiger Gesellschaftskritik, großen Geschichten, monströsen Live-Shows, ausschweifendem Lebensstil oder auch mit schockierenden, polarisierenden und bewusst provozierenden Elementen, die uns alle mehr oder minder in ihren Bann schlugen.
Genau in diese Riege gehört auch die Band KING 810, aus Flint, Michigan. Diese Skandal umwitterte Band veröffentlicht ihr Debut „Memoirs of a Murderer“ über den Major-Riesen Roadrunner Records, über den ich mich in der Tat wundern muss. Waren doch bei SLIPKNOT (die teilen sich jetzt das Management mit den KINGs) Gewaltausbrüche vornehmlich auf der Bühne zu sehen und die Taten einzelner Fans zwar in lose Verbindung mit der ein oder anderen recht krassen Textzeile zu bringen, ist bei KING 810 die Sachlage jedoch ganz anders. Explizit ruft man zu Waffengewalt (Vorliebe für Hieb- und Stichwaffen entnimmt man den Texten), die den Tod zur Folge haben sollen. Man ist brüskiert über die desolaten Verhältnisse in der Heimatstadt, die man zu gleich als Legitimation heranzieht. Denn in Flint hat man als Passant die Chance von 1:36 einem Gewaltverbrechen zum Opfer zu fallen, hingegen in NY 1:246. Die Presse nennt Flint mittlerweile „Murder City“ oder auch „Murder Town“ und dort ist eine Bewegung entstanden, die nicht wie andere Bands auf die Missstände in dieser Stadt durch Proteste, Lyrics oder Aktivismus aufmerksam machen möchte. Dass nahezu 40% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, auf 1000 Einwohner ein Cop kommt und Teile der Stadt nahezu verwaist sind, wird in für KING 810 logischer Konsequenz in brutalen Massenschlägereien auf Konzerten thematisiert. Daher bringt man auch gerne eigene Schläger mit, scheut sich aber auch nicht selbst mit einem Knüppel minderjährigen Mädchen ins Gesicht zu schlagen oder einen Promoter das Hirn aus dem Schädel zu boxen. Dafür wird zumindest gegen ihren Bassisten nun ein Verfahren eröffnet, nachdem der Sänger noch einmal glimpflich davon gekommen zu sein scheint. Nun kann man argumentieren: Ja, das ist eben Amerika. Hier ist der White Trash den KID ROCK so gerne glorifizierte. Das ist die Antwort auf politische und wirtschaftliche Missstände. Doch ich habe dafür kein Verständnis.
Auch nicht, dass Roadrunner Records sich diese Gewaltverbrecher, die zu Mord aufrufen (bspw. in 'Killem All' oder Murder, Murder, Murder'), unter den Nagel gerissen hat. Hauptsache kontrovers und die brutalen Tendenzen des Pits in ein neues Extrem schrauben.
Namhafte Sponsoren wie Rockstar Energy, die das Mayhem Festival ausrichten, aber auch europäische Großveranstaltungen wie das Download Festival geben unreflektiert diesem Schlägerhaufen auch noch eine Bühne, damit diese ihre Hass-Predigten international verbreiten können.
Ich habe viel, viel Verständnis (als Metalhead) für Kontroversen und die Heterogenität unserer Kultur, die längst kein Paralleluniversum mehr zum Normalbürger darstellt und (aus meiner Sicht) auch viel für die Annäherung verschiedener (Sub-)Kulturen oder Szene-Strömungen geleistet hat. Doch wenn diese neue Form von Aggression die Clubs überschwemmen wird, weil man als 17 jähriger, kleiner Penis sich von Menschen angespornt fühlt, die sich mehrere Millimeter tief Fleisch aus dem Körper schneiden, um lebenslänglich ein K unter ihrer Haut zu tragen (die Band befürwortet das in 'Carve My Name'), dann finde ich GORGOROTH, Headwalking und das Scarring damaliger SLAYER Fans, als relativ unbedenklich.
Wenn dies der neue Trend wird, die Sprache der nächsten Generation, dann will ich auf kein Konzert mehr gehen und in Zukunft keine Platte dieses Majors kaufen, geschweige denn diesen Herzrythmus-Störungen verursachenden Zucker-Kram für Dullies, der Musik genauso viel besser macht, wie eine Ladung Snickers.
Das Album: „Memoirs of a Murderer“. Sänger Gunn gibt in seinen Lyrics zu, bei mindestens einem Mord anwesend gewesen zu sein ('Murder Murder Murder'). Er selber (wie auch seine Band und seine Anhänger, die KING 810 wie einen Kult feiern) zelebriert auf ganz ambivalente Art und Weise, dass er in einer lebensfeindlichen Umwelt groß geworden ist, in der Gewalt an der Tagesordnung ist und die Leben von Freunden, Bekannten und Familien einfach so, von einem Augenblick auf den anderen, ausgelöscht werden können ('Fat Around The Heart' oder 'Best Nite of My Life'). Aber bevor er zu der Erkenntnis kommt, dass es (wie die Graffitie seiner Stadt sagen: „Please, stop the violence!“) nicht der richtige Weg sei, sonnt er sich in seiner und der Härte seiner Mitstreiter. Ein harter Stahl, der nur in der ehemaligen Vehicle City geschmiedet werden kann. Die Lyrics über Mordgedanken, -taten, Messer, Schlägereien, Knarren, Knast etc. langweilt unfassbar schnell und das ganze Image der Band finde ich erschrecken, aber auch unfassbar traurig.
Was passiert musikalisch? Eigentlich nichts.
Die Band ist nicht herausragend. Die ganze Platte lebt von der Produktion der Vocals und der eingestreuten Samplings. Ich finde 'Fat Around The Heart' im Sinne eines hartnäckigen Ohrwurms sehr gelungen. 'Take It' ist ein bisschen Western-Storytelling, der am Ende eines B-Movie-Italo-Streifens laufen könnte. Ist aber nicht wirklich gut. 'Murder, Murder, Murder', 'Best Nite Of My Life', sowie 'Killem All' sind wütende Stampfer die durch ihre New Metal und HC Anleihen, vor allem aber durch ihre Breakdowns groovend, aber bei Weitem nicht innovativ oder so gut, dass man einen Label Deal bei einem Major bekommen sollte. 'Treading And Trodden' finde ich unspektakulär, aber nun auch nicht wirklich schlecht, wie die unnützen und Fremdschämen auslösenden 'Anamtomy 1:2' und '1:3', 'Boogeyman', 'Carve My Name' und 'War Outside'. Lyrisch interessant finde ich 'Devil Don´t Cry', 'Write About Us' und 'State of Nature'. Die Balladen haben etwas von Nick Cave und eröffnen zumindest im Ansatz eine kritische Auseinandersetzung in einer Art von düsterer Poesie. Aber auch hier: Ich bin Satan, ich habe ein Messer, Gott ist nicht da, Mord und Totschlag überall...aber zumindest geht es hier einem nicht so sehr auf den Sack, weil das Thema auf einer theatralischen, abstrakten Ebene behandelt wird und nicht gehandhabt wird, wie eine geladene Waffe in den Händen eines jungen Mannes in Winninden oder Columbine. 'Desperate Lovers' gefällt mir wegen des Grooves sehr gut und 'Eyes' finde ich trotz des Images der Band fantastisch. Das hätte ich nun nicht erwartet. Erinnert an DEPECHE MODE und NINE INCH NAILS und ist eine Ballade über das dramatische Ende einer Liebesbeziehung. Hier stimmt die Stimmung, hier kontrastiert die harte Persönlichkeit das überwältigende Gefühl des Verlusts einer Liebe. Geile Nummer.
Fazit: Drei gute Songs, drei weitere die man sich wie eine Art musikalisches Hörspiel vorstellen sollte. Das sind sechs Songs von 16. Hinzukommt das antisoziale Image der Band, das (sei es auch nur PR) einfach widerlich ist und ich bei all meiner Toleranz nicht tolerieren werde. Dazu kommt die musikalische Schlichtheit der Band, die durch den Mix der Vocals und elektronischen Zusatzelement angereichert werden muss. Das klingt ein bisschen nach einem schlechteren Plagiat der frühen COAL CHAMBER. Das reicht nicht für ein ausreichend, egal wie groß der Major, egal wie groß und böse die Gemeinde ist. Image ist und sollte nicht alles sein. Es geht in erster Linie um die Musik!
Die Band hat musikalisch auf gewissen Gebieten ein Unze Potenzial und Flint im Rücken alleine und die Geschichten aus Murdertown reichen aus meiner Sicht vollkommen aus, um auf etwas (und sich) aufmerksam zu machen. Dazu braucht man nicht den Pit in ein Schlachtfeld verwandeln. Die Welt hat genug Gewalt gesehen. Doch im Falle von KING 810 reicht die Musik nicht aus, um wirklich interessant zu sein. Nimmt man dieser Band ihre Stadt und deren Brutalität weg, dann bleibt faktisch fast nichts übrig, was die Band auch nur in die Nähe der Grenze des Mittelmaß pushen würde. Dazu braucht man dann bewaffnete Bodyguards auf der Bühne.
Tracklist
01 - Killem All
02 - Best Nite of My Life
03 - Murder Murder Murder
04 - Take It
05 - Fat Around the Heart
06 - Treading and Trodden
07 - Anatomy 1:2
08 - Eyes
09 - Desperate Lovers
10 - Boogeymen
11 - Devil Don't Cry
12 - Anatomy 1:3
13 - Carve My Name
14 - War Outside
15 - Write About Us
16 - State of Nature