Auf die Frage, welche Band 2017 durch die Decke gehen wird, gab es in all den Leserpolls, Umfragen, Jahresrück- und Vorausblicken Ende 2016 vor allem eine Antwort: LEONIDEN. LEONIDEN. LEONIDEN.
Die Band rund um Jakob Amr u.a. Sänger von ZINNSCHAUER und den mittlerweile aufgelösten TROUBLE ORCHESTRA, scharrt schon seit geraumer Zeit mit den Hufen. Bereits 2014 nahm das Hamburger Label und Zuhause von FRAU POTZ, FINDUS und Co. DELIKATESS RECORDS die Jungs unter Vertrag, veröffentlichte ihre erste EP, machte auf dem Weg zum Album jedoch seine Tore dicht und die Jungs somit obdachlos. Wäre ein Rückschlag nicht schon genug, mussten LEONIDEN im Verlauf Änderungen in der Bandbesetzung verkraften, während die Zeit ohne Rücksicht weiter voranschritt.
Nun ist es 2017 soweit - 3 Jahre nach dem ersten Plattenvertrag. Die Erwartungen sind groß. Das selbstbetitelte und nun über das eigene Plattenlabel „Two Peace Signs“ veröffentlichte Debüt-Album kommt mit dermaßen vielen Vorschusslorbeeren im Gepäck, dass es von Anfang an schwer zu sein scheint, diese auch nur Ansatzweise erfüllen zu können. Erst recht wenn man den beiliegenden Promotext liest, in dem die Band ausschließlich über den grünen Klee gelobt wird.
LEONIDEN wagen dennoch den Versuch. Was bleibt ihnen auch anderes übrig.
Daumen einklappen, die restlichen 4 Finger nach oben. Two peace Signs. Mehr Frieden geht nicht.
Der Opener „Nevermind“ ist, neben dem für die EP „Two Peace Signs“ veröffentlichten Song „1990“, gleichzeitig die erste Singleauskopplung und sinnbildlich für das ganze Album. Im Video: Fünf Freunde, ein Auto, eine Tankstelle und Rollschuhe. Alles erinnert an die 90er, an Amerika – nichts lässt einen auch nur erahnen, dass hier eine deutsche Band am Werk ist, sowohl Video-, als auch Soundtechnisch. Indie-Rock trifft auf jede Menge Pop-, aber auch Soul- und Hardcore-Elemente. Jugendliche Mädchen-Chöre treffen auf die druckvolle Stimme von Jakob Amr.
„Nevermind“ handelt von den negativen Konsequenzen, die der Umzug aus der Weltmetropole Hamburg in das doch etwas überschaubare Kiel für Jakob Amr mit sich bringt. Einsamkeit, der Gedanke eine falsche Entscheidungen getroffen zu haben und das ständige Gefühl an einem Ort zu leben, der einen innerlich kaputt macht.
„I got a situation, I’m living in a place that fucks me up. A bunch of wrong decisions. Can you get up here?
I was tired there, I feel lonely here, But I guess it’s right. This city kind of shines. Do you even understand, How it is to leave your friends to get somewhere? I do know.“
Doch, anders als es der Text/das Thema erahnen lässt, drücken LEONIDEN musikalisch nicht auf die Tränendrüse, sondern verpacken die Zweifel in ein positives, aber dennoch sehnsüchtiges Stimmungsumfeld. Tanzbar, eingängig, ohne Angst den nächsten Hit zu landen.
Tempowechsel, Chöre, Indie-Gitarren und eingängige Refrains. LEONIDEN schrecken nicht vor Ohrwürmern und glatten Pop-Elementen zurück, sondern setzen diese dermaßen professionell und selbstverständlich in die Tat um, dass diese zwar poppig aber kaum kitschig wirken.
Dabei sind LEONIDEN extrem experimentierfreudig, treiben es aber hier und da (leider) etwas zu weit. Immer wieder entsteht der Eindruck, dass weniger bei LEONIDEN sogar mehr gewesen wäre. Mehr Indie, mehr Rock und etwas weniger Pop. Mehr D.I.Y., aus welchem die Jungs ja eigentlich stammen, weniger Produktion.
Das Debüt an sich hat seine lauten, aber auch seine leisen Momente, geht mal nach vorne, um dann wieder in dich selbst zu versinken und wird auch dadurch nicht langweilig. Durchweg wird die Spannung gehalten und mit extrem viel Liebe zum Detail gearbeitet. In jedem Lied gibt es etwas Neues zu entdecken - so viel, dass einzelne Parts erst beim zweiten oder gar dritten Hördurchlauf auffallen. Aber auch so viel dass es teilweise etwas überladen wirkt.
Und auch wenn sich LEONIDEN musikalisch in von Grund auf anderen Gefilden bewegen, erinnern einzelne Elemente immer wieder an Jakob Amrs Soloprojekt ZINNSCHAUER. Verkantet, eigen, für die Masse und dennoch irgendwie Underground.
LEONIDEN gelingt der Drahtseilakt zwischen Indie und Pop, laut und leise, Underground und Chartspitze. Leider wollen die Kieler dabei aber etwas zu viel. Ein Gang, ein paar Spielereien, ein paar Pop-Elemente weniger hätten der Platte gut getan.
Ich bin gespannt, wo die Jungs am Ende damit landen werden,… Underground, Charts oder gar beides?