Es war in den letzten Jahren wahrlich nicht immer leicht, MASTODON auf ihrem Weg durch das Feuer („Remission“), das Wasser („Leviathan“) und die Erde („Blood Mountain“) zu folgen. Zu verworren wirkten die Pfade der Band, obwohl die Konzepte der Alben im Grunde recht durchsichtig erschienen. Dies ändert sich mit „Crack The Skye“ auf zweierlei Arten. Auf der einen Seite ist die Musik wesentlich eingängiger geraten, die andere Seite weist jedoch ein komplexeres Konzept auf, als man es vielleicht von der Band gewöhnt ist. Es geht nicht einfach nur um die Luft als solche, sondern um ein querschnittsgelähmtes Kind, welches die Grenzen seines Körpers verlässt und eine sowohl gedankliche, als auch seelische Reise in die Vergangenheit antritt.
Am Anfang steht der Weltraum und seine unendlichen Weiten. „Oblivion“ stellt einen fast zu leichten, eingängigen und zugleich eindrucksvollen Einstieg dar. Durch seine einfache Struktur, inklusive impressiven Gitarrensolo gegen Ende, wird gleich zum Beginn von „Crack The Skye“ der erste „Hit“ raus gehauen, zu dem es auch ein sehr ansehnliches Video zu bestaunen gibt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Band kommt hier die Stimme von Drummer Brann Dailor zum Einsatz, der für die Strophen verantwortlich zeichnet, und sein fast zerbrechliches und klares Organ fügt sich nahtlos in das Gefüge ein. Besonders überzeugen kann hier der Refrain, gesungen von Brent Hinds, der auf seine eigene Art und Weise eine nostalgische Stimmung herbei zaubert, die zum Thema nicht besser passen könnte. Während der Junge also durch den Weltraum schwebt, nähert er sich zu sehr der Sonne, die ihm den letzten Halt an die heimische Erde abtrennt. Fortan ist er verloren in der Vergessenheit und schwebt frei umher. Es sind diese verdammten Wurmlöcher, die uns alle irgendwann zum Verhängnis werden – auch dem Protagonisten des Albums. Als er frei durch den Weltraum schwebt, trifft er auf ein solches, wird herein gesogen und findet sich im Russland des 19. Jahrhunderts wieder. Hier ist gerade eine Sekte, die Chlysten, zu Gange, welche versucht den Sohn Gottes in sich zu finden. Durch Zufall entdecken sie das verlorene Kind und vereinen seine Seele mit dem Körper des Zaren Rasputin. Die Ermordung des selben veranlasst, dass die Seele des Kindes und die des Zaren durch einen Riss im Himmel entkommen.
Soweit also zum Konzept, welches gleichermaßen spannend, wie abgedreht klingt. Ähnlich gestaltet sich auch die Musik. „Divinations“ würde in seiner Art ebenso auf das sehr an die 70er Jahre angelehnte „Blood Mountain“ passen und stellt einen Ausbruch aus dem neuen musikalischen Spektrum MASTODONS dar, denn die Ähnlichkeit zu alten Alben ist hier eher eine rare Seltenheit. Die Geschichte des russischen Zaren („The Czar (I. Usuerper, II. Escape, III. Martyr, IV. Spiral“) etwa ist eine zehn-minütige Irrfahrt durch die Zeit des progressiven Metal mit all seinen Windungen und Verwirrungen. Den Hörer überrollt einfach alles, was dieses Genre ausmacht, es bleiben keine Wünsche offen. Vor allem die dreistimmige lyrische Untermalung kommt hier voll und ganz zum Tragen. Was besonders im Ohr bleibt, sind die ruhigen, sehr atmosphärisch gehaltenen Parts, die das Verlassen des Körpers wunderbar beschreiben. Hier ist es einfach mal möglich, sich zurück zu lehnen und das Kopfkino abzuschalten, welches bei diesem Album mehr als notwendig ist.
Mit „Crack The Skye“bringen MASTODON den sicherlich wütendsten Song des Albums. Dies könnte damit zusammenhängen, dass dieses Stück den Selbstmord von Brann Dailors Schwester verarbeitet. Jetzt wird auch klar, dass die Abstrahierung des Wortes „Sky“ nicht von ungefähr kommt, denn die Dame hörte tatsächlich auf den Vornamen Skye, womit dann auch der Titel des Albums bis ins letzte Detail geklärt wäre. Neben den sehr ansprechenden Strophen wirkt der Refrain leider ein wenig flachbrüstig und bevor man die Möglichkeit hat, sich darüber aufzuregen, ist man auch schon bei „The Last Baron“ angelangt. Zum Abschluss wird ein erneutes Mal Prog-Geschichte geschrieben und die letzten 13 Minuten haben es noch einmal ordentlich in sich. Obwohl MASTODON nach „Crack The Skye“ hier noch einmal versöhnlich wirken, spielen sie im Hintergrund sehr mit den Köpfen ihrer Hörer und nutzen noch einmal alle Asse aus, die sie in ihren Ärmeln versteckt haben. Erneut treffen sphärische Parts auf Prog-Einschübe und vereinen sich zu einem großen, abschließenden Ganzen, welches sein Tempo und den Rhythmus stetig wechselt.
Letzten Endes ist „Crack The Skye“ mehr, als nur ein simples Konzept-Album und gleichzeitig ist es genau das, worauf man von MASTODON noch gewartet hat. Die Band hat in den letzten zehn Jahren die Entwicklung von einer fast dem Hardcore zugewandten zu einer der heute im Prog-Bereich wichtigsten Bands spielend vollzogen und mit ihrem vierten Album sozusagen einen Meilenstein abgeliefert, der alles, aber auch wirklich alles, beinhaltet, was man braucht. Es ist vielleicht anmaßend und doch würde ich behaupten, dass „Crack The Skye“ in die Riege der wichtigsten Alben der letzten Jahre aufgenommen werden sollte, denn das, was hier in diesen sieben Songs passiert, ist am Ende des Tages doch irgendwie einfach unbeschreiblich und so bleibt mir nicht mehr übrig, als mich vor Troy Sanders, Brent Hinds, Bill Kelliher und Brann Dailor zu verbeugen und ihnen zu danken.
01. Oblivion
02. Divinations
03. Quintessence
04. The Czar (I. Usurper, II. Escape, III. Martyr, IV. Spiral)
05. Ghost of Karelia
06. Crack The Skye
07. The Last Baron