Es passiert selten, dass ich ich auf der Couch sitze – alleine – und nicht anders kann, als die geballte Faust am ausgestreckten Arm in die Höhe zu reißen. Aber irgendwas treibt mich gerade dazu. Es ist keine Wut. Es ist kein Hass. Es ist einfach das Gefühl von purer Mitgerissenheit. Im Takt zeigt sie immer wieder gen Himmel, als wäre dort irgendetwas, dem sie drohen könnte – ohne es zu wollen. Sie muss einfach und ich kann sie nicht aufhalten. Sie schlägt Löcher in die Luft. Warum das so ist? Ganz einfach: OMEGA MASSIF sind zurück.
„Karpatia“ ist mit Sicherheit eines der heiß ersehntesten Releases in diesem Jahr aus dem Bereich instrumentaler Doom. Was natürlich klar war, hatte man doch vor ein paar Jahren mit der „Geisterstadt“ ein Ausnahmerelease auf den Markt geschmissen, welches in seiner Qualität national außer Konkurrenz stand und sogar international mehr als nur mithalten konnte. Im Nullkommanichts hatten sich die Würzburger an die Speerspitze der deutschen Musiksubkultur gespielt und sich ganz nebenbei absolute Sympathiepunkte durch gewaschenes Understatement eingeheimst. Die Zeit strich durchs Land und die Erwartungen an einen neuen Longplayer waren dementsprechend extrem hoch. Ob „Karpatia“ diese erfüllen kann, bleibt die zu klärende Frage.
Im Vorfeld hatte man sich kleine Scherze erlaubt und via Facebook mitgeteilt, dass die Aufnahmen fertig seien und nur noch die Vocals aufgenommen werden müssten. Ein Aufschrei ging durch die Fanbasis und man machte sich einen Spaß daraus, diese im Dunklen wühlen zu lassen, bis man Tage später erst das Gerücht aus der Welt schaffte. OMEGA MASSIF waren, sind und werden immer eine Instrumentalband bleiben. Gott sei Dank. Wenn man das erste Mal auf den Startknopf drückt, dann weiß man auch, warum das so ist. Sofort fühlt man sich heimisch. Diese Gitarren, diese Wucht, alles kommt einem irgendwie vertraut vor. Und spätestens wenn die Riffs sägen, immer wieder abbrechen, fast abgehackt wirken, hat man den Zugang zu „Karpatia“ durch „Aura“ gefunden. Das hat nicht einmal mehr anderthalb Minuten gedauert und es bleibt noch viel Zeit für Entdeckungen und die ein oder andere Neuerung. Bis diese allseits bekannten, epischen Melodien einsetzen und man sich an „Unter Null“ erinnert fühlt. Einfach so. Von jetzt auf gleich. Ja, ich bin zu Hause. Herzlich willkommen.
Und wenn man denkt, man könnte die Faust langsam lösen, den Arm entspannt neben sich legen, kommen „Wölfe“ um die Ecke gelaufen. Mit einer unfassbaren Geschwindigkeit, die gegen Ende ihre Klimax erreicht und für OMEGA MASSIF doch recht ungewöhnlich ist. Passt aber. Wie die Faust auf´s Auge. Der Deckel auf den Topf. Der niederschmetternde Schlag, mitten ins Gesicht. Also lieber schnell die Beine in die Hand nehmen und dann zwar mit- aber bloß nicht davonlaufen – wir sind erst bei Song Nummer zwei. Sie walzen. Sie stampfen. Sie zerstören. Sie verschnaufen! Bitte? Ja, sie verschnaufen und das im großen Stil. „Ursus Arctos“ ist so langsam, wie man sich das wünscht und wartet dazu mit einem bis ans Ende durchgezogenen Spannungsbogen auf. Es dauert lange, bis hier was passiert. Zumindest vordergründig. Im Hintergrund baut sich die Atmosphäre aber seit der ersten Sekunde auf, wenn man genau hinhört – und mitdenkt. Manches möchte sich erst nach mehrmaligen Hören erschließen, so auch die Tatsache, dass OMEGA MASSIF mit „Im Karst“ sicherlich einen ihrer bislang stärksten Songs der Bandgeschichte geschrieben haben und mit dem Titeltrack eher einen Ausflug in die Ecke des Drone machen und hier – Achtung Neuerung – orgelähnliche Klänge verlauten lassen. Die Atmosphäre ist undurchdringlich, die Luft kann man schneiden. Die Nerven angespannt, der Körper starr. Gebannt hört man und dann passiert es. Nämlich nichts. Außer diffuse Geräusche. Bis es mit „Steinernes Meer“ fast wieder typisch wird und man nach einem weiteren Ausbruch des Vermutens, eines der besten Stücke der Bandgeschichte zu hören, ein letztes Mal nun beide Fäuste in die Luft jagt und das Gefühl vermittelt bekommt, alles niederreißen zu können. Einfach alles.
„Karpatia“ zeigt eindrucksvoll, dass man in Würzburg nicht geschlafen hat, sondern die Zeichen der Zeit erkannt hat. Das, was hier aufgenommen wurde, hätte niemals eine zweite „Geisterstadt“ werden können und vor allen Dingen dürfen. Es ist viel eher der konsequente Schritt nach vorne, mit kaum wahrnehmbaren Nuancen in eine andere Richtung, die sich nur schleichend erschließen, einen aber dann mit einer Wucht treffen, die man nicht vermutet hat. Die Erwartungen wurden erfüllt. Mehr als das, sie wurden übertroffen. OMEGA MASSIF sind zurück, ja, und sie stehen immer noch an der Speerspitze. Wer zum Teufel will sie da wegfegen? Sie bräuchten nur einmal die Saiten anzuschlagen (nicht einmal andere aufziehen) und jeder Angreifer würde sofort zu Staub zerfallen. Und dann stehen sie da oben wieder alleine. Einfach so. Ganz, als wäre nie überhaupt auch nur irgendetwas passiert.
Und ich? Ich hab jetzt schlechte Laune, fühle mich träge und weiß nicht wohin mit mir und meinen Gedanken. Also drücke ich nochmal den Startknopf, denn ich will mehr! Immer und immer wieder.
Tracklist:
1. Aura
2. Wölfe
2. Ursus Arctos
4. Im Karst
5. Karpatia
6. Steinernes Meer