Winter. Frühjahr. Sommer. Herbst. Irgendwas muss an diesen Begrifflichkeiten schon dran sein. Nicht nur als Richtlinie für den ungefähren Kleidungsstil über drei Monate und als Katalysator für Zufriedenheit und Unzufriedenheit gleichermaßen (mit Tendenz zu letzterem). Auch beim Blick auf die Platten- oder Dateiensammlung unterteilt der gemeine Musikkonsument ja gerne mal quartalsbasiert. SHINING am Strand? MAN OVERBOARD vor dem verregneten Fenster? Eher nicht. Das Leben eines Musiknerds will eben gerne genau so kategorisch geordnet sein wie das eines jeden anderen Menschen auch. Dann aber kommen RVIVR mit einem neuen Album um die Ecke und führen diese jahrzehntelang gehegte Ordnung ad absurdum. Nicht nur hauen sie in diesem Frühling, der eigentlich gar keiner ist, die wohl jetzt schon beste Sommerplatte des Jahres raus. Sie erschaffen damit auch gleich noch den perfekten Begleiter für alle Jahreszeiten und Lebenslagen in den kommenden.
RVIVR ihrerseits waren ja bisher vor allem die eine Hälfte der aus dem LATTERMAN-Split hervorgegangenen Nachfolgebands und für den Verfasser dieser Zeilen vor allem eher so okay. Musikalische Stärken wurden jedenfalls immer durch einen, um es freundlich auszudrücken, eher gewöhnungsbedürftigen Gesang auf dem Boden gehalten. Derlei Schwächen kennt nun „The Beauty Between“ nicht mehr. Zwar mag das Mann/Frau-Gespann am Mikro immer noch keine Bestleistungen abrufen, aber die Inbrunst und die ihr innewohnende Catchiness kaschiert dies nicht nur, sie trägt einen großen Teil dazu bei, dass der Nachfolger zur letztjährigen „Dirty Water“-EP geworden ist, wie er nun mal geworden ist: unfassbar leidenschaftlich.
„The Beauty Between“ ist aber mehr als nur das Rehabilitationsgesuch zweier Stimmbänder. Es ist vor allem auch ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig gutes, variables und cleveres Songwriting immer schon war und ist. Auch im Punkrock. Vielleicht sogar gerade dort. 42 Minuten und damit fast doppelt so lange wie der selbstbetitelte Langspielvorgänger misst dieses Album und vergeht gefühlt doch mindestens ebenso schnell wie dieser. Die Abwechslung hat Einzug gehalten im RVIVRschen Soundkosmos. Der Pop ebenso. Aber nicht so wie man sich das nun vielleicht vorstellt mit klebrigen Refrains und noch klebrigerer Plastikproduktion. Vielmehr durch die Selbstsicherheit, mit der die Band ihre Riffs mittlerweile in den Mittelpunkt stellt. Oftmals sehr simple Riffs sogar, fürwahr. Aber eben zugleich unglaublich catchy, ohne auch nur einmal die Beliebigkeits-Alarmleuchte losblinken zu lassen. Einmal die grandiose Gender-Identity-Krisenhymne „Wrong Way/One Way“ gehört und der Ohrwurm für die nächsten paar Tage ist gesichert. In diesem Song zeigt sich zudem eine weitere Stärke der Band: die Explosion. Wie sich kurz vor dem finalen Chorus alles auftürmt und für wenige Sekunden zu einem regelrechten Soundwall wird ist ein Zeichen für die Ernsthaftigkeit, mit der RVIVR anno 2013 ihr Songwriting der Ekstase betreiben. Alles hat hier einen Zweck, Füllparts gibt es keine und das sprichwörtliche One-Trick Pony bleibt auch im Stall. Saxofonparts fügen sich hier nämlich ebenso selbstverständlich in das Klangbild ein wie die dreiteilige „Hunger Suite“, die über acht Minuten die Brücke von BRAND NEWs Spätwerk zum Highspeed-Hardcorepunk und zurück schlägt. Selten hat man in den letzten Jahren ein dermaßen abwechslungsreiches und dennoch homogenes Punkalbum erlebt, das irgendwie immer und zu jeder Tages- und vermutlich auch Jahreszeit passt, ohne sich im Geringsten anzubiedern.
RVIVR legen mit „The Beauty Between“ also das Album vor, das man von ihnen in dieser makellosen Ausführung vielleicht erhofft, nicht aber erwarten konnte. Ein ungezügeltes und doch sehr erwachsenes Album zum immer wieder hören und aufs neue verlieben, bei dem wieder die Faust in der Tasche, noch das Hirn im Standby-Modus verbleiben muss.
Tracklist:
1. „The Seam“
2. „LMD“
3. „Spider Song“
4. „Old Dogs“
5. „Wrong Way/One Way“
6. „Big Lie“
7. „Paper Thin“
8. „Rainspell“
9. „Ocean Song“
10. „The Hunger Suite I. Go Away“
11. „The Hunger Suite II. Bleed Out“
12. „The Hunger Suite III. Hunger“
13. „Elephant Song“
14. „Party Queen“