Wünsch dir was: Das Maskenkollektiv um „Vessel“ bietet auf seinem Debütalbum Avantgarde-Pop, Elektro, Djent-Passagen, EDM und Dicke-Hose-Alternative kurz vor New Metal. Spannend und interessant.
Das Konzept des anonymen Musikerkollektivs, dessen Mitglieder sich hinter Masken tarnen, ist nicht sonderlich neu: SLIPKNOT waren sehr früh dabei, in neuerer Zeit haben GHOST das Spiel dann perfektioniert. SLEEP TOKEN, deren einziges „bekanntes“ Mitglied ein Mastermind namens „Vessel“ ist, scheinen aus Groß Britannien zu stammen und fügen ihrem Maskenball noch eine gehörige Portion Pathos in Form eines übergeordneten Gesamtkonzepts hinzu: Als „Sundowning“ bezeichnet man eine besondere Form der Demenz, bei der die Symptome neurologischer Störungen erst bei oder kurz nach Sonnenuntergang einsetzen. Passend dazu hat die Band zu jedem Song ein Video im Abstand von zwei Wochen veröffentlicht, und zwar immer genau zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs. Muss man auch erstmal drauf kommen. Böswillig könnte man das auch auf den Sound von „Sundowning“ münzen: So wie das Album auch innerhalb der Songs zwischen völlig unterschiedlichen Genres hin- und herspringt, könnte man mutmaßen, dass der Songschreiber ständig vergessen hat, woran er gerade gearbeitet hat. Dabei fängt „The Night Does Not Belong To God“ durchaus vielversprechend an: Diese einprägsame, geloopte Elektromelodie schwebt so ätherisch umher, wie sonst nur bei TYCHO, der Gesang ist glasklar und raumgreifend und plötzlich setzen Gitarre und Drums so massiv groovend ein, dass man meint, Stephen Carpenter und Abe Cunningham (DEFTONES) hätten sich ins Studio von BON IVER verirrt. Diese völlig kuriose Mischung (Hier gilt wieder: Muss man auch erstmal drauf kommen) wird nun auf Albumlänge ausgeweitet, womit sich das eigentlich spannende Konzept leider merklich abnutzt. Die Güte des Openers halten dabei nur „Levitate“ und „Say What You Will“, ansonsten wird nur in der Balance zwischen den beiden Polen variiert: Mehr Elektro und noch härtere Riffs („The Offering“) oder mehr Singer/Songwirter-Stimmung („Drag Me Under“). Bei der schamlosen DEFTONES-Kopie „Gods“ übertreiben SLEEP TOKEN es dann aber doch ziemlich. Zumal der anfängliche Überraschungseffekt zusehends in Vorhersehbarkeit umschlägt, denn egal wie elektronisch oder piano-balladig es auch wird, mit absoluter Verlässlichkeit setzen spätestens zum zweiten Refrain Bratgitarre und Groove-Schlagzeug ein. Da helfen dann auch die Trap-Beats in „Dark Signs“ nicht weiter.
Wer nun auch immer hinter SLEEP TOKEN steckt, es sind jedenfalls alles andere als unbegabte Musiker und auch das Produktionsbudget scheint sehr üppig gewesen zu sein, denn dicker und klarer geht es kaum. Diese Fakten sowie die Tatsachen, dass der Vertrieb über Universal läuft, lassen darauf schließen, dass hier eher keine Nachwuchsmusiker, sondern wohl gestandene Größen am Werke sind. Man darf gespannt sein, ob die Identitäten jemals gelüftet werden.