„Die letzte wirklich herausragende Scheibe des Ruhrpott-Trios, das seit 1981 mit wechselnden Besetzungen von Bandchef, Bassist und Sänger Thomas „Tom Angelripper“ Such am Leben erhalten wird, liegt bereits Jahrzehnte zurück.“
Dieser Satz ist im Vorwort zum letzten SODOM-Album „Decision Day“ (2016) vor dem Hintergrund verfasst worden, dass der Verfasser dieser Zeilen seine musikalische Unschuld verlor, als er die SODOM-Werke „Agent Orange“ (1989), „Persecution Mania“ (1987) und „Ausgebombt“ (EP, 1989) verschlang. Danach verebbte langsam der Sog, den diese Band auf meine musikalische Ausrichtung verübte, nur „Tapping The Vein“ (1992) ließ noch einmal das Gefühl von Magie aufblitzen.
Als die Rückkehr von Frank Blackfire die Runde machte, schien die Erwartungshaltung an ein neues Album in schier unermessliche Sphären zu steigen, zumal das langjährige Trio zum Quartett mutierte. Und nach zwei relativ belanglosen EP`s kommt nun mit dem 16. Studioalbum „Genesis XIX“ endlich mal wieder der Hauch der begnadeten Band in die Regale, den SODOM als Szenevorreiter am Anfang ihrer Karriere versprühte.
Nach dem Intro „Blind Superstition“, welches schon auf dem „Mortel Way Of Life“-Album (1988) als Anheizer zu hören gab, erklingt mit dem bereits vorab veröffentlichten „Sodom & Gomorrah“ ein längst fälliger Titel im SODOM-Titeluniversum. Interessant vielleicht auch, dass die beiden biblischen Städte den Mittelpunkt im Kapitel „Genesis XIX“ darstellen und die Thematik sehr gut durch das Coverartwork (verantwortlich wieder einmal Joe Petagno) eingefangen. Der Track prescht in Thrash-Galopp voran und lebt vor allem von Tom`s dreckigem Gesang und dem Powerdrumming. Hier bereits machts sich die etwas dreckiger gehaltene Produktion bemerkbar, die in die Vergangenheit schielt, aber dennoch druckvoll und mit Punch versehen wurde. Das sich anschließende „Euthanasia“ ist ein ebenfalls ein solider SODOM-Song, knackig und auf den Punkt geprügelt. Der Titeltrack ist bereits von der EP „Out Of The Frontline Trench“ (2019) bekannt und erinnert ein wenig an die „Tapping The Vein“ Ära, da er bedrohlich düster und etwas vielschichtiger komponiert wurde. Interessant vielleicht, dass der Song neu eingespielt wurde und jetzt etwas aggressiver (vor allem im Drumming) klingt, was allerdings auch an der verbesserten, bissig pissigeren Produktion liegt. Dann folgt mit „Nicht Mehr Mein Land“ das erste Highlight des Albums. Seit 10 Jahren endlich mal wieder ein Track mit deutschen Lyrics, der vor allem Tom`s Ventil bezüglich der aktuellen Situation in seinem Heimatland darstellt. Untermalt mit Blastparts kann dieser Wutausbruch nicht mit anderen deutschen SODOM-Songs verglichen werden, bei denen meistens der Schalk im Nacken stand. „Glock `N`Roll ist ein Thrash `N` Roll Rocker, dem nicht nur wegen des Titels Respekt gezollt werden muss. Auch die Tempowechsel machen Laune und zeigen das Quartett auch wegen des geilen Gitarrensolis von der etwas verspielt hakenschlagenden Seite. Dann folgt mit „The Harpooneer“ ein weiterer Kracher, der sich langsam aufbauen zum Thrash Metal-Lehrstück entwickelt. Als Gegenpol zum „Get What You Deserve“ Song „Silence Is Concent“ handelt der Text vom Walfang aus Sicht eines Walfängers. „Dehumanized“ ist dann wieder ein alles andere als typischer SODOM Gassenhauer, da er wie wild mit Blastbeats um sich schlägt und sich in einem Gitarrenduell entlädt. Das danach folgende „Occult Perpetrator“ beginnt dagegen ruhig und birgt danach einen Stampfer, der sich nicht richtig zu entfalten weiß und im Gesamtgefüge ein wenig unscheinbar wirkt. Dass der Angelripper eine Faszination für den Vietnamkrieg pflegt, wissen wir ja nicht erst seit „Agent Orange“. So ist es nicht verwunderlich, dass mit „Waldo & Pipgen“ (Codenamen von Piloten) ein weitere lyrische Abhandlung davon zu finden ist. Musikalisch ist der Beginn sehr melodisch, ruhig, atmosphärisch, um dann in einem straighten Thrash Song zu münden, der auch auf „Agent Orange“ hätte stehen können. Was wäre SODOM ohne Angelrippers Gesang und Bass. Letzterer macht dann auch die Eröffnung von der letzten Singleauskopplung „Indoctrination“, ein ordentlicher Thrash-Smasher, bei dem sich die Bandmitglieder in Gangshouts einbinden. Das abschließende „Friendly Fire“ besticht dann wieder durch Blastparts und hakenschlagenden Wendungen, die den Song Dynamik einimpfen und ihn aus der Tracklist hervorheben lassen.
Die Besetzungswechsel und insbesondere das Zurückkommen von Blackfire scheint neue Energie im Hause SODOM freigesetzt zu haben, denn anstatt verkopft klingt „Genesis XIX“ wie frisch aus dem Proberaum gepresst und entfacht ein immenses Live-Feeling. Das Album macht definitiv Spaß, wobei sich auch einige kleinere Durchhänger ausfindig machen lassen. Aber SODOM haben mal wieder abgeliefert und der viel diskutierte Besetzungswechsel (vor allem die Art und Weise, wie Bandmitglieder von Angelripper vor die Tür gesetzt werden…) scheint das alte Flaggschiff poliert zu haben. SODOM haben bisher immer abgeliefert und mit „Genesis XIX“ sicherlich ein Album geschrieben, dass weiter oben in der Beliebtheitsskala landen wird und wie einleitend angesprochen auch hin und wieder die Magie dieser einzigartigen Band freilegt.
Ein kleines Interview mit Frank Blackfire findet ihr übrigens hier:
https://www.allschools.de/article/show/SODOM_-_Frank_Blackfire_1605195961529