Sieht man von dem müden Wortspiel im Titel einmal ab, ist SAGE FRANCIS mit "Li(f)e" ein ziemlich mitreißendes, beißend kritisches, die Genregrenzen ein stückweit verschiebendes folkisiertes Backpacker HipHop-Album gelungen. Einschub: Ist das überhaupt noch HipHop?
Normalerweise fangen solche Alben anders an. Wobei, was heißt hier schon „solche Alben“. SAGE FRANCIS ist stets der Genre-Grenzgänger gewesen, der wohl eher ein Gitarrenmusik-Klientel bediente, als die feuchten Träume irgendwelcher durch blinden Konsumismus und schlechte Doppelreime verhunzten Mittelstandsblagen zu unterfüttern. Trotzdem: Normalerweise fangen solche Alben anders an. Nicht so verflucht eingängig, songbasiert und stringent narrativ. Mit 'Little Houdini' ist SAGE FRANCIS jedenfalls ein ziemlicher Clou gelungen. Basierend auf einer Jason Lytle (ex-GRANDADDY) Gitarrenfigur, angereichert mit schummrigen Orgeln, wird hier der Boden bereitet für die Geschichte (und um Geschichten ging es bei SAGE FRANCIS eigentlich immer) gescheiterter Existenzen, wie sie auch in Denis Johnsons Meistererzählungen "Jesus‘ Son" hätten beschrieben werden können. Wolken wie graue Gehirne, Zimmer, die eigentlich Gefängniszellen sind, schrundige, verkorkste Charaktere und andere Probleme, wohin das Auge blickt.
Der Subtext auf "Li(f)e" ist stets ein zutiefst düsterer, die Gitarren lassen allenfalls temporär ein Licht scheinen, um bestimmte Ideen, Unpässlichkeiten und Kommentare in den Fokus zu rücken. Lakonisch durch diesen ganzen Schicksalsscheiß watend, bleibt SAGE FRANCIS der Kommentator aus dem Off. Er wildert ergiebig in US-amerikanischen Song-Traditionen und macht daraus Stücke im Spannungsfeld von Folk und HipHop, wie ihn früher zum Beispiel ATMOSPHERE aufgenommen haben. Herausgekommen ist dabei ein (wenn man so will) ur-amerikanisches HipHop-Album randvoll mit Songs, es gibt keine nervigen Interludes oder ähnlichen Quatsch um die Spiellänge künstlich aufzublasen. Irgendwie urig, warm, zeitlos und tiefgehender als viele seiner Kollegen hat sich SAGE FRANCIS dabei Hilfe bei nicht gerade naheliegenden Künstlern geholt. Neben bereits genanntem Jason Lytle haben unter anderem Mitglieder von DEATH CAB FOR CUTIE und CALEXICO ausgeholfen. Was am Ende des Tages ja auch passt, möchte man den amerikanischen Alptraum in all seiner Abgründigkeit vertonen. Und die gilt es facettenreich aber nicht zerfahren zu umkreisen: 'Three Sheets To The Wind' ist eine schmissige Rocknummer geworden, 'I Was Zero' klingt abgehangen, die Gitarren seufzen sich durch das Stück und in Gänze klingt das beinhahe feierlich-beschwingt. 'Slow Man' gibt sich düster wabernd, ist beinahe klassizistische Singer/Songwriter-Klangkunst, wohingegen 'London Bridge' dann doch zu unverhohlen auf Mike Skinner macht. Unterm Strich jedoch gibt es eine Menge zu entdecken auf dem Album des talentierten Storytellers. Die Unterseite, der Bodensatz, die Verlorenen sind ja seit jeher das spannendste Thema, über das es sich zu dichten lohnt.
Und bevor ihr weiter an unseren Hirnen werkelt, ein Zitat des großen Denis Johnson: „Glaubt ihr mir, wenn ich euch sage, dass in seinem Herz Güte war? Seine linke Hand wusste nicht, was seine rechte Hand tat. Bestimmte wichtige Schaltkreise waren einfach durchgebrannt. Wenn ich euch den Kopf aufmachen und mit einem heißen Lötkolben in eurem Gehirn herumfahren würde, könnte ich so jemanden auch aus euch machen.“ Die Lötkolben sie lauern an jeder Ecke.
Tracklist:
01: Little Houdini
02: Three Sheets To The Wind
03: I Was Zero 04: Slow Man
05: Diamonds And Pearls
06: Polterzeitgeist
07: The Baby Stays
08: 16 Years
09: Worry Not
10: London Bridge
11: Love The Lie
12: The Best Of Times