Ok, ich gebe es zu: Bei „World Painting Blood“ habe ich mich zu weit aus dem Fenster gelehnt und das Album aus einer euphorischen Stimmung heraus besprochen. Und es als bestes Album seit „Seasons In The Abyss“ beschrieben. Um nicht wieder so einen Fehler zu machen, habe ich mir diesmal Zeit gelassen und das neue Album „Repentless“ wirken, setzen und sacken lassen. Herausgekommen ist nach knapp einer Woche des Erscheinens ein unausgegorenes Mischmaschgefühl, dass einerseits suggeriert, immerhin noch ein neues SLAYER-Output besprechen zu dürfen, andererseits aber auch vor diesem Machwerk kapituliert in der Form, dass es einen nicht ansatzweise zum Ständer verhilft. Was ist denn bloß mit den Helden von einst passiert?
Nach Hannemanns alkoholbedingtem Leberzirrhosetod und Lombardos erneutem Abgang sprechen wir hier über 2/4 SLAYER, die mit Gary Holt (auch Gitarrist bei EXODUS, der einige Soli einspielen durfte) und erneut Paul Bostaph aufgefüllt wurden. Kerry King schrieb „Repentless“ im Alleingang und vielleicht hätte er mal den guten Gary fragen sollen, ob er ihm nicht ein paar Tipps für packende Tracks verraten könne. Schon das Intro „Delusions Of Savior“ ist überflüssig, da es im Gegensatz zu früheren Glanztaten (stellvertretend „Hell Awaits“) schlicht und einfach überflüssig, weil total belanglos ist. Der Titeltrack (der schon vor einiger Zeit hochgejagt wurde wie im übrigen auch „Implode“, dass bereits auf dem Vorgänger stehen sollte und 2010 veröffentlicht wurde, aber auch „When The Stillness Comes“ und „Cast The First Stone“ waren bereits bekannt) ist dabei einer der besseren Tracks auf diesem am 11.09. (das VÖ-Datum ist auch mittlerweile ideenlos…) erschienenen Album, denn hier sind Abwechslung, Härte, hakenschlagende Wendungen und eine Portion Unberechenbarkeit eingeflossen. Aber hier wird bereits das Dilemma deutlich, dass „Repentless“ irgendwie anhängig ist, da sich bei den schnelleren Tracks wiederum eine Punk-Kante eingeschlichen hat, die SLAYER meiner Meinung nach nicht unbedingt steht. Wo ist der alles zersetzende Thrash Metal geblieben?
„Take Control“ hat einen schicken Groove und wechselt dabei immer mal wieder die Richtung und erzeugt zumindest Stimmung. Die folgenden 3 Songs vergaloppieren sich im Midtempo und lassen den Skipfinger zucken. Ab „Chasing Death“, dass die kleine Schwester von „Take Control“ sein könnte, wird es etwas besser, zumal mit dem bereits bekannten „Implode“ endlich auch mal das von der Band seit jeher bekannt Böse transportiert wurde. „Piano Wire“ finde ich langweilig und „Atrocity Vendor“ gut, da hier etwas mehr Frische, Griffigkeit und Durchschlagskraft einfloss und die Soli durchgeknallt sind. Mit „You Against You“ knallen und die Herren dann noch einen Grower um die Ohren, der der große Bruder des Titeltracks sein könnte und als Midtempo-Stampfer beginnt und sich dann entlädt. Das abschließende „Pride In Prejudice“ punktet durch eine bedrohliche Stimmung und das geile Schlagzeugspiel Bostaphs, der wiederum eine gute Arbeit ablieferte.
Was man sonst noch wissen sollte? Araya, der mittlerweile aussieht wie der Metal-Jesus, „singt“ erstaunlich gut und der Sound ist besser als auf „World Painting Blood“, da drückender und voluminöser. Aber auf einer "Best Of" wird es vielleicht nur „Repentless“ schaffen, aber auch nur als "Japan Bonus Track".
- Clement
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“Wo SLAYER drauf stehen ist auch SLAYER drin!” - wie ein 'Prädikat: Wertvoll' – Stempel erklingt diese Aussage immer wieder, wenn es darum geht das US Ur-Gestein des Thrash-Metal zu umschreiben. Nicht dass man der Band um die verbliebenen Gründungsmitglieder Kerry King und Tom Araya vorwerfen könne sie hätten gar keine musikalische Weiterentwicklung angestrebt, sind die (aus meiner Sicht) vorgenommenen Gehversuche in stilistisches Neuland doch eher marginal (und nicht immer gut) gewesen (siehe 'Diabolo in Musica') oder das Punk-Tribute '….'). Kaum eine andere Band wirft wie SLAYER die kontrovers diskutierte Frage auf, inwiefern Stagnation als Erfolgsrezept einerseits (vielleicht auch als Fan-Ausbeutung) oder Zeichen persönlicher und musikalischer Integrität andererseits konnotiert werde kann. Nach dem tragischen und unnötigen Ableben von Gitarrist Jeff Hannemann stellte sich zumindest für mich die Frage, wie SLAYER anno 2015 wohl klingen würden. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Herren nicht eben jünger werden. Dazu kommt, dass Dave Lombardo erneut SLAYER verlassen und Paul Bostaph abermals den Sitz hinter den Kesseln eingenommen hat und Holt als neuer Gitarrist seine (kreativen) Finger mit im Spiel hatte.
Also durfte man gespannt sein.
Die kreative Wort-Neuschöpfung Kerry Kings „Repentless“ klingt auf den ersten Eindruck eher mittelmäßig und sehr im Mid-Tempo verankert. Als Songbeispiel sei hier 'Cast The First Stone' genannt, welcher bereits als Teil des YouTube Studio-Reports rezipiert werden konnte. Nach einer eher mäßig atmosphärischen Einleitung plätschert der Song mehr oder minder vor sich hin. Allein der eingängige Refrain triggert die Aufmerksamkeit. Der Titelsong 'Repentless' knallt natürlich, aber seien wir mal ehrlich: Das haben wir auf einigen vorher gegangenen Alben schon wesentlich besser gehört. So bahnbrechend wie das extrem brutale Video ist der Song an sich nicht. Insgesamt haben Stücke wie 'When The Stillness Comes' oder 'Implode' für mich eher eine Füller-Funktion als wirkliches Hit-Potential. Dynamik alleine reicht für mein Empfinden nicht aus, damit Stücke wie 'Atrocity Vendor' interessant bleiben. Ähnlich 'You Against You'. Das dem Hardcore entlehnte Riffing klingt zu Beginn viel versprechend, doch ist es am Ende alleine Bostaphs Schlagzeugspiel welches mir die nötige Aufmerksamkeitsspanne abverlangt. Irgendwie wirkt 'Repentless' textlich wie musikalisch uninspiriert. Die vokale Umsetzung eher punktgenau einstudiert als wirklich empfunden. So oft wurde SLAYER vorgeworfen eine Geldmaschine zu sein, getreu dem Motto „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Auf dieser CD habe ich zum ersten Mal ebenso das Gefühl, dass es der Band vielleicht nicht geschadet hätte, die enervierenden Probleme der Vergangenheit vielleicht erst zu verarbeiten und in neue Kraft umzumünzen. Mit Sicherheit werden einige Fans und Medienvertreter mir widersprechen wollen, aber auch wenn Holts Soli ein bisschen mehr Rock and Roll Charme mit sich bringen, klingt das gesamte Album doch einfach nur nach allem was bereits vorher da war. Ein und dieselbe Formel: Thrash, Hardcore-Punk, gesellschaftskritische und anti-religiöse Texte die von einem gläubigen Katholiken vorgetragen in dem Genre entsprechenden Stilistik vorgetragen werden. Dann pro Songs ca. ein bis zwei disharmonische Gitarren-Ausbrüche und fertig scheint ein neues SLAYER Album zu sein. Die Qualität der Songs ist ungefähr so wie die des Artworks. An sich gut, aber auch einfach nicht wirklich überraschend. Zu voraussehbar und ohne die notwendige Energie, ohne die kompromisslose Härte vergangener Zeiten. Für mich klingt es so, als würden SLAYER ihr Image eines wütenden Teenagers aufrecht erhalten wollen, wobei sie jedoch längst im gesättigten, gemäßigten Alter angekommen sind und einfach nicht mehr so richtig wütend sind.
„Wo SLAYER drauf steht, da ist auch SLAYER drin!“ Das trifft auch auf „Repentless“ zu. Ab dem 11. Oktober 2015 kann man sich die neue Scheibe zulegen. Ich greife jedoch lieber zu altbewährten (wütenden) Scheiben wie das furiose Debut oder „South of Heaven“.
Nachtrag: Als Bassist frage ich mich immer, wie Araya mit seinem Sound zufrieden sein kann. Gibt es überhaupt einen? Hört man seinen vier Saiter überhaupt? Was bei "...And Justice For All" noch gemein war, scheint bei SLAYER seit jeher an der Tagesordnung...im Vergleich zum satten Sound auf den PANTERA-Alben zieht auch "Repentless" hinsichtlich des Bass-Sounds den Kürzeren und somit einen weiteren Minus-Punkt mit in der B-Note mit sich. De restliche Sound ist schön aufgeräumt und unterstreicht die Extra-Klasse eines meiner Lieblings-Produzenten: Terry Date.
Inwiefern sich nun Holt (ex-EXODUS) wirklich ins Songwriting eingebracht hat weiß ich nicht. Wie weit der Beitrag von Bostaph geht und ob nicht vielleicht doch King vieles im mehr oder weniger Alleingang geschrieben hat, kann ich schlecht sagen. Die Band ist diesbezüglich in Interviews gerne mal selbst nicht einig.
"Repentless" ist natürlich ein Statement, dass man nicht aufgibt und weiter macht. Klingt dafür aber auch unter dem berühmten Strich etwas dünn.
- Linc