„Wie kann ein System die Krise sein, wenn es selbst die Krise ist?“ fragen SON KAS direkt im Opener den Hörer, welcher schon aufgrund des Covers und des Albumtitels irgendetwas zerrüttendes, schwer im Magen liegendes erwartet. Ist denn wieder alles so grau, so schlecht, so hoffnungslos? Nein, denn „Wasserleichentreiben“ ist vor allem ein Album der gemischten Gefühle. „Nackt“ passt da eher als Prädikat, denn wie die Dame des (übrigens üppig und wunderschön aufgemachten) Artworks ist auch die Darstellung von uns – der Gesellschaft, der Menschen –, enthüllt und ohne Fassade. Was bleibt da? Natürlich all unser Ekel, beispielsweise unser kapitalistisches Denken, wo das System wohl nur das Resultat unserer menschlichen leidigen Natur ist, aber auch unsere Falschheit, mit der wir uns Tag für Tag durchs Leben schlagen. Aber auch positives wie das Glück, die gute alte Tante Liebe und selbstverständlich die Hoffnung: „Ein Computer ohne Fehler wäre schön, doch wir sind Menschen. […] Wir alle liegen ohne Wasser weiterhin tief in der Scherbengrube, schief in der letzten Kurve doch halten uns aneinander fest bis wir gehen. Machen ein Fest aus dem Leben, mit euch will ich leben, euch all das geben, was ich hab, mein Vertrauen denn in den Träumen reist das Herz, ich reiß es hinaus und will es euch schenken weil ihr an mich glaub – und ich dadurch existier“.
Epilog (ja richtig, der Typ, der zuletzt schon mit Misanthrop ein herausstechendes Stück Deutsch-Rap vertont hat) trägt all dieses Ping-Pong-Spiel der Emotionen mit höchster Dramatik und mit höchstem Einsatz vor. Gerade bei den zuletzt zitierten Zeilen überschlägt sich seine Stimme förmlich, und man merkt dass diese Worte mehr als nur hohle Phrasen sind. Sein Kollege Azabeats liefert dazu größtenteils, aber nicht immer passende Beatteppiche. „Hinausgerissenwerden“ und das (großartige!) „Evolution der Anpassung“ sind da positiv hervorzuheben, während „Kleines Universum“ beispielsweise etwas wie ein misslungener, viel zu poppiger Remix eines eigentlich guten Songs wirkt. Grundsätzlich beweist Azabeats aber auf „Wasserleichentreiben“ vor allem Flexibilität und Mut zum Experiment. Und das mit einem Repertoire, welches von wüsten elektronischen Sounds hin zu unaufdringlichen Klavier-Samples das gefühlstechnische hin und her der Texte ganz gut einfängt.
Wie andere Postrap-Releases ist auch „Wasserleichentreiben“ zwar etwas abseits gängiger Deutsch-Rap-Konventionen, gleichzeitig aber auch nicht unbedingt gezwungen unkonventionell. Auf Reimschemen wird beispielsweise auch hier verzichtet, jedoch nur um eine gute Zeile nicht aufgrund irgendeines gezwungenen Reims zu opfern. Einen gewissen Flow muss es natürlich trotzdem geben, und hier präsentiert sich einer der besonderen Stärken von SON KAS: Das Zusammenspiel aus Beat und Rap. Gerade in dieser Symbiose erweist sich „Wasserleichentreiben“ als äußerst intensives Stück Deutschrap, wessen Erfahrung gerade auf Albumlänge irgendwie ganz anders als das meiste aus diesem Genre klingt, obwohl vieles auf den ersten Hörer gar nicht so anders zu sein scheint.
Tracklist:
1. Wachkomawandeln
2. Ventil aus Busen
3. Der letzte Glanz
4. Bild aus Staub
5. Kleines Universum
6. Irritation
7. Evolution der Anpassung
8. Zeitvergessen
9. Das offene Meer
10. Hinausgerissenwerden