Emotional Turn.
10. Mai, 1994. Der Welt leidender Gitarren und gebrochener Menschen dahinter wird das geschenkt, an dem sich Myriaden von Copycats immer noch versuchen. Ihr Problem: "Diary" ist in seiner aufwühlenden Spontaneität unerreicht. Bis zum heutigen Tage. Danach sahen SUNNY DAY REAL ESTATE pink und es war (vorerst) Schluss.
Wo war das Gefühl, das gesagt hatte, es würde kommen? Machte man die Gleichung auf Flirrende Gitarren + Eruptiver Songaufbau Stringente Strukturen = Emo(tionaler)-Klassiker, das Matheass mit Hornbrille würde ergänzen: Und was bitte ist mit Enigks unerreicht intensivem, an der Grenze zur Exaltiertheit oftmals gerade so vorbeischrammendem Gesang?! Und klar, das behornbrillte Matheass hätte recht. So was hatte es in dieser Form vorher nicht gegeben. Und dann auch noch so konsequent gegen den herrschenden Flanell-Zeitgeist, der Leidenschaft doch irgendwie männlicher ausbuchstabierte. SUNNY DAY REAL ESTATE, das einstige Emo-Flagschiff zweiter Generation aus Seattle. Schwer fassbar, medienscheu, mit ureigener Spiritualität versehen. Auch nach modernen (ok, so alt ist "Diary" nun auch wieder nicht) Klangmaßstäben ist das Debüt von 1994 eine verdammt mitreißende, hakenschlagende und tief gehende Angelegenheit. Ein wenig klanglich aufpoliert, mit schönem Klappcover und Schuber versehen, zwei wuchtige Bonustracks (die Songs der "Thief, Steal Me A Peach" 7 von 1993) Linernotes, die den Mythos der alten Tage versuchen aufrecht zu erhalten (und das tatsächlich ein stückweit schaffen), nähen sich SDRE eine zweite Haut aus purer Emotion. Die muss nicht zwingend bunt sein, sondern führt das an seine Grenze, was bei unzähligen zeitgenössischen Bands aufdringliches Pathos heißt. Die Gitarren als Sänger 2 ½, wird hier nichts ironisiert. Es war ihnen todernst. Mit ihren Gefühlen, mit ihren die Grenzen des aus-sich-Herausgehens erweiternden Auftritten. 'Seven' und 'In Circles' bleiben in ihrer wogenden Intensität unerreicht, die Texte entfalten in ihren kryptischen Reduziertheit wahre Schönheit. Ob Jeremy Enigk, Dan Hoerner, William Goldsmith und Nate Mendel (beide später FOO FIGHTERS) das damals bewusst war? Es darf bezweifelt werden. Das tiefschwarze Booklet samt zu jedem Song gestalteter kleiner Kunstwerke jedenfalls ist nur die Spitze eines Gesamtkonzepts, das mit Sicherheit keins sein wollte. Dafür geht hier zu viel drunter und drüber. Wie das Leben halt so ist. Und auch auf Alben sein sollte. 'Song About An Angel' ist wohl so etwas wie der Prototyp der (sorry) Emo-Ballade, 'Grendel' trotz äußerst reduzierter Lyrics (The rain was there to wash away my tears / I wanted to be them but instead I destroyed myself.) elegisch wie wenig anderes. Sicher, heute würde sich niemand mehr ob dieser Lyrik auch nur eine Träne aus dem Knopfloch drücken. Weil alle emotional übersättigt sind. Weil heutzutage jeder bei solchen Zeilen an THE USED denkt. Doch während heutzutage viele Bands parasitär von den Gefühlen anderer Bands leben, waren SUNNY DAY REAL ESTATE gewissermaßen die Theorie (fast) ohne Vorläufer. Der halbe emotionale Paradigmenwechsel. Nicht nur jemand wie Jonah Matranga (FAR!!!) scheint bei ihnen in die Lehre gegangen zu sein. War in den Neunzigern wirklich alles besser? Auch SAMIAMs "Clumsy", JAWBREAKERs "Dear You" und (etwas später) THE GET UP KIDS "Something To Write Home About" hauchen in ihrer tiefstaplerischen Art ein scheues könnte durchaus sein.
Wie brachte es Produzent Brad Wood dereinst auf den Punkt: Everything has a yearning intensity to it that is almost painful. Wo war das Gefühl, das gesagt hatte, es würde kommen? Auf "Diary" ist es immer noch gegenwärtig. Konserviert für die Ewigkeit. Schön, dass wir das in neuer Auflage noch einmal erleben dürfen.
Tracklist:
01: Seven
02: In Circles
03: Song About An Angel
04: Round
05: 47
06: The Blankets Were The Stairs
07: Pheurton Skeurto
08: Shadows
09: 48
10: Grendel
11: Sometimes
12: 8 (originally released on "Thief, Steal Me A Peach" 7)
13: 9 (originally released on "Thief, Steal Me A Peach" 7)