Plattenkritik

The Tidal Sleep - The Tidal Sleep

Redaktions-Rating

Info

Release Date: 27.04.2012
Datum Review: 29.04.2012

The Tidal Sleep - The Tidal Sleep

 

 

THE TIDAL SLEEP aus Süddeutschland klängen amerikanisch, liest man. Sie wüssten wie man sowas (Post-Rock und Posthardcore verbinden) leidenschaftlich, druckvoll und ungekünstelt auf die Beine stelle. Mit ihrem Potenzial könnten sie durchaus die deutschen XYZ werden. Wer die Band und ihren Sound jedoch auf „Gefällt-mir“-Entwicklungen der letzten zwei, drei Jahre reduziert, der hat den Posthardcore der letzten zwanzig Jahre verpennt.

THE TIDAL SLEEP sind jung. Als Band. Die Erfahrungen der Musiker sagen anderes. Sie sagen zum Beispiel: wir wissen wie der Posthardcore und der Screamo der Neunziger klingen. Mit diesen Haken und Ösen, den hochpeitschenden Momenten, den Delaygitarren und dem schmalen Grat von gutem Pathos und Überlebenskitsch. Sowas lässt sich offenbar auch prima in Karlsruhe und Mannheim spielen. THE TIDAL SLEEP sind alt genug. Als Menschen. Sie wissen, dass man Operationen am offenen Herzen (übrigens das einzige wirkliche Klischee: das Albumcover) in diesem musikalischen Rahmen auf keinen Fall zu weinerlich und/oder zu abgeklärt durchführen darf. Weil’s sonst halt schmierig und klischiert wird. Die Band schlittert also kaltschnäuzig durch Zeit und Raum, da wo THURSDAY und ENVY schon gewesen waren, lange bevor die sich auf einer Split-EP zusammen getan haben. Aus dem Weltall – vom Jupiter - winken CAVE IN mit diesem untrüglichen Gespür für Weite und Schwerelosigkeit, welches andere Mitstreiter häufig als allzu billigen Raumgestaltereffekt verhunzt haben. THE TIDAL SLEEP passiert das nicht. Aber lassen wir das mit den Referenzen. Das schürt doch immer nur die völlig falschen Erwartungen und evoziert Epigonentum. Die vier Süddeutschen bekommen das auch alleine hin.

Die Band mit einer Vorliebe für Effektpedale und nautische Metaphern dreht keine zeitgenössischen (rümpf) Bewegungen auf links, obschon sie mit TOUCHÉ AMORÉ durchs Land tourte. Sie erfindet kein Genre neu (wer verlangt das schon?). Aber sie füllen diese großen (Verzeihung) emotionalen Momente mit mindestens so viel Leben wie die Vorgängerbands in den Neunzigern. Die geflüstert-geschrien rezitierten Stimmen aus dem Off. Die Gitarrenwände und Schlagzeugbauten. Der Sinn für richtig gesetzte Pausen und Kommunikation. Im Hintergrund flirren die Saiten, etwas weiter vorne poltert einer gegen das Leben an. Ein wandlungsfähiger Sänger übrigens, der nicht nur ausschließlich wütend ist aber halt auch mehr als verzweifelt. 'Serpent Hug' zieht einen direkt hinein in den Strudel aus Klagestimme, punktgenauem Schlagzeug und diesem natürlichen Gespür für die gute Dramatik eines noch besseren Songs. 'Untitled' klingt beinahe getragen und eben gerade so gelassen wie man ist, wenn man ohnehin nichts mehr zu verlieren hat. Die Band beherrscht beides: den langsamen Aufbau ('Ghost Poetry') und das Hereinplatzen mit sämtlichen verfügbaren Waffen ('Inkbreath'). Und wer hier einen veritablen (Journalisten-)Hype wittert, der verkennt dann doch Alter, Erfahrung und Bodenständigkeit der Band. Der Gesang klagt an, die Gitarren reichen die Hand. So geht das. Und überhaupt sollte man viel häufiger schauen, was da gerade bei This Charming Man in Münster passiert.

Tracklist:

01: Serpent Hug
02: Untitled
03: Derelict
04: Thrones
05: Inkbreath
06: Ghost Poetry
07: Tiburon

Autor

Bild Autor

René

Autoren Bio

There is plenty to criticize.