Du bist keine Monade. Dinge, die du fühlst, fühlen auch andere. Teile von AEREOGRAMME sind glücklicherweise zurück. Etwas verzärtelter und behäbiger zwar, dennoch: Für nicht wenige absolut majestätische Momente dieser Platte würden Bands Effektpedale, Tagebücher und die Seele ihrer Freundin verkaufen.
Das Leben ächzt, bebt, zittert und arbeitet unter seinem eigenen Gewicht. Von diesem Beobachterstandpunkt aus betrachtet, sieht fleißige Betriebsamkeit immer so aus, als wäre das eine gute Alternative zu lästigen Gedankenspielen, die ohnehin zu nichts führen. Kann vielleicht mal jemand vorbei kommen, um das Leben und diesen Beziehungskram auszulachen? Kann vielleicht mal jemand vorbei kommen und diesen ganzen Menschen sagen, dass sie sich ordentlich auf dem Holzweg der Selbstverwirklichung befinden? Kann vielleicht mal jemand einen Song erdenken, aufschreiben und spielen, der das alles in die passende Form fasst? Der- oder Diejenige darf dem Song auch gerne einen ziemlich blöden Namen geben. Der 'Knut' hier jedenfalls ist kein dämlich-süßer Eisbär, der aus Konsumjunkies plötzlich sorgsame Tierschützer macht, kein debiles Tannenbäume-aus-dem-Fenster-Werfen für pseudofreundliche Gleichmacher-Raumausstatter. Verhalten, reduziert, sich beständig steigernd, legt das erste Stück der Nachfolger der famosen Untiefen-Ausleuchter AEREOGRAMME die emotionale Messlatte so verdammt hoch, dass man nur denken kann: „Beim nächsten wird sie gerissen. Das geht jetzt gar nicht anders.“ Tatsächlich ist 'Knut' in seiner post-rockigen Stringenz wohl DAS Aushängeschild des Albums. Es geht allerdings auch unter beinahe-perfekt noch gut weiter. Durchdacht geschrieben, nein, komponiert. Mit zarten Streichern und perligem, nie aufdringlichem Piano. Vorgetragen mit schwereloser, stets leicht zitternder Stimme. Der Trick von THE UNWINDING HOURS um Craig B. ist eigentlich ein sehr einfacher. Man ist sich nicht zu schade für die ganz große Geste und auch ein wenig Kitsch, die Kameras fürs Kopfkino nehmen nur die wirklich existenziellen Szenen auf, man legt die Finger nur in ganz frische Lebenswunden. Die Band wirkt dabei jedoch nie abgeklärt, immer angreifbar und weiß um die Tatsache, dass ihre Elaborate immer nur Momentaufnahmen sein können. Es muss schließlich auch noch Platz bleiben für Bands wie SLAYER oder so. 'Tightrope' ist dann verdächtig auf Radio-Format gestutzt. Es wäre jedoch eine wahre Freude, tönten solch dramatisch orchestrierte Refrains mitsamt fragilem Gesang aus dem Durchschnittsrotz, der uns an allen Ecken und Enden um die Ohren geballert wird. Hochdramatisch wird es auf dem selbstbetitelten Debüt der Schotten mindestens noch – einige Male. 'There Are Worse Things Than Being Alone' schämt sich gar nicht erst für seinen plakativen Titel, muss es in Verbindung mit dieser Musik, die sich gegen Ende selbst in die Unendlichkeit umkrempelt auch überhaupt nicht. Wenn dann 'The Final Hour' am Schluss beginnt zu stampfen und zu poltern, erschrickt der Hörer beinahe und wünscht diesem Sänger, dass es ihm hoffentlich bald besser gehe.
Und dann ist man plötzlich wieder alleine mit sich und diesem Lebensquatsch. Lacht über die FDP, sorgt sich um die Gemeinschaft und verflucht alle Coffee-to-go-Menschen dieser Erde. Vielleicht – nein, mit Sicherheit – hört man sich dieses Album dann noch einmal an.
Tracklist:
01: Knut
02: Tightrope
03: Little One
04: There Are Worse Things Than Being Alone
05: Solstice
06: Peaceful Liquid Shell
07: Child
08: Traces
09: Annie Jane
10: The Final Hour