They write the songs and you sing the passages at night
Man könnte eine Rezension zum aktuellen THESE ARMS ARE SNAKES Album mit allseits beliebten populistischen rhetorischen Musikjournalistenfragen á la Wer zur Hölle braucht heutzutage noch FUGAZI? oder Ist die Abwesenheit von Moshparts, Exaltiertheit und künstlich aufgepfropfter Tiefgründigkeit gute Musik? beginnen. Das wäre allerdings nur die halbe Wahrheit über den umwerfenden dritten Langspieler der musikalischen Freigeister aus Seattle
Am Anfang steht wie bei so vielen großen Alben zunächst einmal abgeklärte Ernüchterung. Die kochen ja auch nur das übliche Post-hardcore-Süppchen. Vielleicht auf heißerer Flamme. Vielleicht mit den exotischeren Gewürzen. Hoher Standard schraubt sich mit mehrmaligem Hören jedoch in schwindelerregende Höhen. In Anlehnung an das bekannte Adorno-Diktum heißt es hier: Aus dem Bedürfnis wird überragend musiziert. Weil all die Mittelmäßigkeit und vermeintliche Härte vieler zeitgenössischer Bands einfach krank machen. Weil ein guter Song trotz angeschrägter Gitarren einfach mal ein Song bleiben darf- auch im wüst umkämpften Post-hardcore-Segment, in dem die überbordende Spielsucht grassiert. Weil 'Red Line Season' und 'Woolen Heirs' von einer einnehmenden Atmosphäre bei gleichzeitiger Zurückhaltung und einem verführerisch-drückendem Groove leben, die sie zeitlos machen. Weil auch das Stöbern in eher assoziativen Textgebilden Spaß machen kann und nicht unnötig verkopft sein muss. Vordergründig eher klassischeren Songstrukturen zugewandt, leben THESE ARMS ARE SNAKES auf "Tail Swallower and Dove" einmal mehr von Steve Sneres beschwörendem (Sprech-)Gesang, von Gitarren, die gleichzeitig DC und Detroit sind. Einem unbeschreiblich intensiven Groovefundament, welches von der klarsten, druckvollsten Produktion der Bandgeschichte (wieder einmal von Drummer Chris Common in Red Room Studio) eingerahmt wird. Wenn THESE ARMS ARE SNAKES nach dem obligatorischen langen Ausklang fertig sind mit dem Hörer, hat sich dessen Wahrnehmung des Potentials moderner, im Hardcore erwachsen gewordener Musik erneut ein bisschen verschoben.
Der Post-hardcore-Heiland hat eine Lücke gelassen. THESE ARMS ARE SNAKES füllen sie mit Verve, überragender spielerischer Finesse und Originalität. Prägende Vorgängerbands müssen hier schon lange nicht mehr als Kaufargument herhalten. "Tail Swallower and Dove" steht absolut für sich alleine. Und wenn nach all den vorhergegangenen Lobhudeleien überhaupt irgendwem irgendwelche Vorwürfe gemacht werden sollten, dann dem Rezensenten: Die Besprechung kommt nämlich mehr als anderthalb Monate zu spät.
Tracklist:
01: Woolen Heirs
02: Prince Squid
03: Red Line Season
04: Lucifer
05: Ethric Double
06: Seven Curtains
07: Long and Lonely Step
08: Lead Beater
09: Cavity Carousel
10: Briggs