Plattenkritik

Tocotronic - Kapitulation

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Release Date: 06.07.2007
Datum Review: 04.07.2007

Tocotronic - Kapitulation

 

 

Fuck. It. All.

Was für ein schönes minimalistisches Fundament, um ein Album einzuleiten, das im Vorfeld so erwartet, wie befürchtet wurde. TOCOTRONICs „Kapitulation“. Da dachte man nach dem mäßigen „Best Of“ Album eher an die Auflösung alá BLUMFELD, statt an einen Neuanfang.

Aber nein, eben darum dreht es sich, im nunmehr achten Album der Band, die der „Hamburger Schule“ zum Buzz-Word verholfen hat. Ein Neuanfang, eine Rückbesinnung auf alte Tugenden, mit der Betonung auf Rock und herrlich gniedelnden und (leider zu selten) schrammeligen Gitarrenstücken, die zwar bei weitem nicht so kaputt rüberkommen, wie in den Polaroid-Foto Cover Zeiten, aber in Sachen Scharfsinnigkeit zu den besten Songs der Hamburger Band gehören.

Das Aufgaben, das Niederlegen der Waffen und die Schönheit des Versagens als Reaktion auf eine Welt, deren einzige Maxime nicht auf Werten, sondern ganz banal auf Erfolg beruht, ist der Dreh und Angelpunkt. „Sag alles ab / Geh einfach weg / Halt die Maschine an / Frag nicht nach dem Zweck“ und „Die Karriere macht mal Pause“ heißt es sogleich in „Sag Alles Ab“, dem lautesten und aggressivsten Stück des Albums, das in Zeiten, in denen scheinbar eine Art anhaltender Sommerschlussverkauf auf den Menschen herrscht und „man sich überhaupt freuen sollte, eine Arbeit zu haben“ so relevant und subversiv ist, wie selten zuvor.

Mit „Kapitulation“ machen TOCOTRONIC so gut wie alles richtig, und nichts falsch. Nach den „Top of the Pops“ Ausflügen von „Tocotronic“ und „K.O.O.K.“ wird das Konzept des großartigen „Pure Vernunft Darf Niemals Siegen“ weitergeführt. Gitarranlastiger, melodischer und das direkteste TOCOTRONIC Album, seit „Digital Ist Besser“, bietet „Kapitulation“ durchgängig wunderbare Songs, die schlichtweg begeistern können. Das Aufgeben wird in allen möglichen Formen durchdekliniert, von der Kapitulation vor dem Leben in einem so sanften, wie melancholischen Titeltrack („Kapitulation“), und natürlich der Liebe in „Wehrlos“, das mit einem kleinen, ruhigen Südstaaten-Shuffle ein vordergründig so unschuldiges Liebeslied ist, wie man es sonst von TOCOTRONIC eher selten bekommt, und doch Kapitulation und Abhängigkeit in einen neuen Kontext setzt. Natürlich könnte man die eher ruhigen Midtempo Songs bemängeln, doch was „Aus meiner Festung“ und „Verschwör Dich Gegen Dich“ an Wortwitz und Gefühl in einem flirrenden, schwebenden Rhythmus transportiert, gehört zu den schönsten Songs über das ewige Verlierertum und das trotzige Glück darin.

Man mag fast an die (ungemein attraktiven) Plattitüden eines „Fight Clubs“ denken, das ebenfalls die Aufgabe eines materiell ausgerichteten Lebens als Weg zur spirituellen Befreiung propagiert, aber TOCOTRONIC schaffen es selbst diesem Ansatzpunkt den Mief und das Klischee eines Che Guevara Posters zu nehmen.

Um sich mal etwas weiter aus dem Fenster zu lehnen: Mit „Kapitulation“ ist TOCOTRONIC ein unglaublich fein ausbalanciertes Album gelungen, in dem Dirk von Lowtzow die Wut, den Zynismus, die Bitterkeit nicht mehr nach innen, sondern gegen die Welt richtet. Wenn dann „Fuck. It. All.“ gehaucht wird, dann ist klar, dass man es nicht mit mehr mit bloßen Allgemeinplätzen zu tun hat. Kurz: das vielleicht beste TOCOTRONIC Album seit „Digital Ist Besser“, ein Zugeständnis an Lo-Fi Kammerrock und ein großartiges Stück Bandgeschichte.

Tracks:

1. Mein Ruin
2. Kapitulation
3. Aus Meiner Festung
4. Wir Sind Viele
5. Verschwör Dich Gegen Dich
6. Harmonie Ist Eine Strategie
7. Imitationen
8. Wehrlos
9. Dein Geheimer Name
10. Sag Alles Ab
11. Luft
12. Explosion

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Dennis

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