Hatte sich der Kollege Moppi schon in der Rezension zum ersten VITJA-Album über den irrwitzigen Inhalt des Promozettels amüsiert, so dürfte das dem Zweitling der Kölner beiliegende Begleitschreiben die Jubelhymnen auf das Debüt noch einmal locker in den Schatten stellen. Somit kann man "Digital Love" getrost als Fortsetzung an zwei Fronten sehen. Ganze zwei (!) Seiten verwendet der Autor darauf, dem geneigten Hörer und Rezensenten die Qualitäten seiner Schützlinge näher zu bringen. Dabei kommt er zu folgendem Schluss: Die Texte sind wahnsinnig deep, die Musik unglaublich vielseitig, ja nahezu abenteuerlich [sic], und VITJA sowieso die Geilsten. Warum man zwei Seiten für Lobpreisungen braucht, die der durchschnittliche Promoter auf einer Halben unterbringt, bleibt ein Rätsel.
Aber genug zum Werbetext, um die Musik der Kölner soll es gehen. Diese hat sich seit dem Debüt "Echoes", auf dem sich VITJA noch in Djent- und Deathcore-Gefilden bewegten, durchaus gewandelt. Deutlich melodischer und geordneter geht es auf "Digital Love" zu, obendrein ist der Gesang von Fronter David Beule tatsächlich vielseitiger geworden; zu wütenden Shouts gesellt sich nun auch Sprech- und Klargesang. Dass aber grade diese gesangliche Umorientierung nicht immer von Vorteil ist, soll sich im weiteren Verlauf des Albums zeigen. Beim Opener "SCUM" gibt es allerdings erstmal gut was auf die Mütze, mit treibenden Riffs, finsteren Samples und anstachelnden Shouts erinnert die Nummer an eine Mischung aus älteren BRING ME THE HORIZON (weil aggressiv und düster) und ESKIMO CALLBOY (weil sehr tanzbar). Letzterer Vergleich kommt nicht ganz von ungefähr, denn die beiden Vorturner der ESKIMOS sorgen hier auch für vokale Unterstützung. Gefällt, auch wenn die Lyrics den Werbetexter schon jetzt Lügen strafen. "If you're sick and tired and can take it no more, then get all your friends and take them to the dancefloor", ähm ja...deep! Doch keine Angst, was folgt ist zwar keine große Poesie, mit Partycore-Lyrik hält man sich nach "SCUM" aber weitestgehend zurück.
Repräsentativer für die Entwicklung der Band als der Opener ist allerdings "D(e)ad"; Tempo und Härtegrad werden zu Gunsten der Atmosphäre runtergeschraubt, zudem setzt David Beule im Refrain erstmals wirklichen Klargesang ein und überrascht mit einer grundsätzlich angenehmen, recht warmen Stimme. Wohl dosiert wie in "D(e)ad" funktioniert das auch wunderbar, ebenso beim eingängigen "No One As Master No One As Slave", wo derbe Shouts komplett hinten angestellt werden. Allerdings fällt schon hier auf, dass der Fronter in Sachen Variantenreichtum schnell an seine Grenzen stößt. Grade die höheren Tonlagen scheinen Probleme zu bereiten, weshalb der Gesang bei Nummern wie "Roses" und "Find What You Love And Kill It" merklich in Schieflage gerät. Ob man das nicht gemerkt oder schlichtweg für gut befunden hat, weiß nur die Band selbst. Was den großflächigen Einsatz von Klargesang angeht wäre hier jedenfalls weniger oft mehr gewesen.
Überhaupt entsteht mit zunehmender Spieldauer der Eindruck, dass sich VITJA zu sehr auf einige bestimmte Ideen eigeschossen haben und ihren neuen Sound unbedingt forcieren wollen. Dadurch kommt es zu Wiederholungen, die schon ab er Hälfte der Platte für erste Ermüdungserscheinungen sorgen. Am besten funktioniert "Digital Love" dann, wenn VITJA den Härtegrad zwischen den poppigeren Nummern wieder etwas nach oben schrauben, was leider nur beim Titeltrack und "Six Six Sick" der Fall ist. Shouten kann der Herr Beule nämlich sehr gut und auch der Rest der Band ist durchaus in der Lage, ein fettes Metalcore-Fundament zu zimmern. Ein bis zwei aggressivere Nummern hätten dem Album daher sehr gut getan. Insgesamt ist "Digital Love" zwar nicht schlecht, noch verzetteln sich VITJA aber zu oft bei der Einschätzung der eigenen Stärken und verschenken so unnötig Potenzial.