Wer innerhalb der letzten zwei Jahre die Berliner Hardcore/Punk-Szene auch nur einigermaßen mitverfolgt hat, der ist an der Band VAL SINESTRA nicht vorbeigekommen. Eine erste EP 2015, Lob von der einschlägigen Musikpresse, Plattendeal mit Concrete Jungle Records, Booking via Four Artists, ausführliche Berichterstattung bei den Kollegen vom OxFanzine. In Kürze folgt eine ausgiebige Tour durch Deutschland inkl. Auftritt auf dem With Full Force. Wurden etwa kräftige "Vitamin B"-Präparate inhaliert oder sind die ganzen Vorschusslorbeeren berechtigt?
Zur Platte:
"Zwei Finger" erinnert nur im Titel an MARTERIA. Der Kuhglockeneinstieg macht die Ausrichtung klar, das einsetzende Riff rollt und der Bass macht ordentlich Druck. Direkt zu Beginn eine Verneigung in Richtung der Genregrößen vom Schlage EVERY TIME I DIE und GALLOWS. VAL SINESTRA sind rough, versprühen Spielfreude und Energie und stellen damit direkt klar, auf welche Reise sich die Band im Laufe der Platte begibt. Mit "Zu viel Gerede, zu wenig Inhalt" ein Manko bereits zu Beginn: Lyrics. Später dazu mehr.
"Wer Sich Erinnern Kann War Nicht Dabei" geht ähnlich rockig los. Der Gitarrensound und vor allem die Riffs sind wirklich klasse, unter dem Austausch des Gitarristen hat die Qualität nicht gelitten. Die Drums treiben an und sind filigran zugleich. Sänger Christopher beschreibt die ratlose Generation Y und der Song mündet in einem Mitgröhlrefrain.
Der schwächste Song der Platte ist die bereits bekannte Single "Skandal", welcher die gegenwärtige Multimediageneration anprangert, welche sich zwischen einzelnen Oberflächlichkeiten nur so hin- und herswiped und Achtsamkeit vermissen lässt. Ein Skandal, dieses. Schwächster Song deshalb, weil die übrigen 10 einfach besser sind.
"Auf Der Suche" im Anschluss besticht wieder einmal durch richtig gutes Songwriting. Die Erfahrungen, welche die Musiker allesamt in anderen Bands sammeln konnten, werden hier gekonnt und hochwertig umgesetzt. Während sich Christophers Gesang bisweilen überschlägt, wünscht man sich, dass er sich diesen Style an deutlich mehr Stellen zu Eigen macht. Richtig gut. Die Bridge des Songs zeigt abermals das Potential der Band, allen voran die Mathcoreanleihen lassen nach mehr verlangen.
Kaputte Vans und Popkulturreferenzen folgen im persönlichen Song "Nichts Hält Mich Auf", welcher gleichzeitig der Soundtrack für alle Verlassenen, egal welcher Form, darstellt. "Allein Zu Zweit" zeigt Sänger Christopher weiterhin von seiner persönlichen Seite, hier verausgabt er sich richtig. Das Zusammenspiel der Band muss an dieser Stelle nochmals gelobt werden - Oldshoolfeeling, Hardcore, Rock´n´Roll, Gangshouts und einen Sänger als Schreihals, der hier seine beste Perfomance abliefert.
Die Mixtur aus Hardcorepunk mit Rock´n´Roll-Einschlag zieht sich durch das komplette Album. Beim mehrmaligen Durchhören der Platte offenbaren sich Ohrwurmmelodien, welche für die Langlebigkeit der Platte sprechen. Gitarrensoli garnieren das wirklich tolle Songwriting. Die Visions verglich die Band einst als Mischung aus THE BRONX und KRAFTKLUB. Instrumental ist das mehr als richtig, gesanglich klafft dabei aber die große Lücke. Christophers Shouting ist top, man vernimmt seine Wut. Vor allem im Song "Hundertachtzig", bei welchem er in genau diesem Gemütszustand zu sein scheint und ihn damit zum Höhepunkt der Platte macht. Selbst Tyler Durden schaut währenddessen verschmitzt um die Ecke. An gesanglicher Variation mangelt es während der ruhigeren Phasen, wenn Christopher seine Texte in einer Art Singsang und Sprechgesang darbietet und damit nur wenig überzeugen kann. Hier unterscheiden sich Val Sinestra von ihren Referenzbands.
Somit kommen wir zum bereits angedeuteten Manko der Platte. Die Lyrics. Sänger Christopher schneidet mal persönliche, mal politische, mal gesellschaftskritische Themen an, kommt dabei zu selten über das im ersten Song noch kritisierte Phrasengedresche heraus und verfängt sich zum Teil in nahezu schlagerartigen Floskeln. Beispiele: "Keiner weiß, was war - keiner weiß, wohin. Was ich brauch, sind Freunde und Gin" oder "es ist noch nicht zu spät für noch nichts. Du gewinnst nur so viel, wie du am Ende gibst". Im Verlauf der Platte folgen noch weitere Plattitüden gepaart mit Pseudointellektualität. Dennoch: die Attitüde stimmt und man versteht, was gemeint ist. Der CASPEReffekt.
Dass Christophers Lyrics nicht an jeder Stelle der oben beschriebenen Kritik unterliegen zeigt der Song "P.A.N.I.K". Der politische Song hat den besten Text der gesamten Platte und steht vor allem auch auf Grund der beschriebenen hochaktuellen Thematik zu Unrecht an letzter Stelle. Hier werden Ängste beschrieben, welche einerseits irrational sind, aber dennoch viel zu real erscheinen. Das Ängste geistige Mauern erschaffen, sollte allen klar sein. Mit diesem Song gelingt es vielleicht Etwaige im Bau befindliche bereits zu Beginn niederzureißen.
Dass eine Platte dieser Stilrichtung mit deutschen Texten gestaltet wird, stellt derzeit ein Unikum dar, alleine deshalb gebührt der Band Respekt. Sie besetzen mit ihrer Debutplatte eine ganz eigene Nische und finden sich weder im klassischen Deutschpunk noch im Bereich der gelegentlich wiederkehrenden Monotonie von Indiebands à la Turbostaat und Captain Planet wieder.
"Unter Druck" macht vieles richtig und kann die Prä-Lobeshymnen zum Großteil bestätigen. Produziert wurde die druckvolle Platte von Jag Jago in Brighton, welcher seinerzeit Mitglied von THE GHOST OF A THOUSAND war. Knapp 35 Minuten ist die perfekte Spielzeit für dieses Album, welches trotz der erwähnten Mängel an keiner Stelle langweilig wird.