VERSE können einem nur leid tun. So viel schon erreicht, so viel schon aufgebaut und dann alles einstürzen gesehen. Mit mindestens zwei überlebensgroßen Alben (die meisten Bands in diesem Genre schreiben, wenn überhaupt, eins von diesem Kaliber) und unzähligen, ausverkauften Touren genießten sie schon fast einen Legendenstatus. Doch dann 2009 völlig überraschend der Edge-Break von Bassist Berg. Das Image der sonst so tadellosen Band war angekratzt. Es folgte die Auflösung, die zwar viele sicherlich schade fanden, aber so wirklich Leid tat sie dann doch niemandem. Als dann Ende letzten Jahres die Gerüchte um eine eventuelle Reunion von VERSE die Runde machte, waren die Sellout! und Untrue! Schreie um einiges lauter, als es die Mitleidsbekundungen für ihre Auflösung jemals waren. Dass es aber vielleicht ganz andere Gründe für die Reunion gab, wie Sänger Sean Murphy kürzlich in einem Interview verriet, ja das interessierte natürlich niemanden. Denn auf jemand eintreten, der bereits am Boden liegt, das geht einfacher und macht mehr Spaß.
Als wären die Erwartungen an das neue Album also nicht sowieso schon viel zu hoch und unerreichbar gewesen, kommt auch noch ein Medienpartner auf die glorreiche Idee das Album, über einen Monat vor Releasedate, in absolut lausiger Qualität von einem Stream zu rippen. Das Übel nimmt seinen Lauf:
Bitter Clarity, Uncommon Grace wird von unzähligen Medien auf der ganzen Welt angehört, verrissen und schlecht geredet, ohne dass überhaupt ein einziges Mal die richtige Version gehört wurde. Hat dieses Album und vor allem VERSE das alles verdient?
Ja, es ist anders geworden. Musikalisch und textlich. Aber das musste es auch. Hätten VERSE eine zweite Aggression oder From Anger And Rage aufnehmen können? Sehr wahrscheinlich. Wären sie dafür gefeiert worden? Wahrscheinlich. Aber hätte sie das in irgendeiner Form weiter gebracht? Auf keinen Fall. So sagte Murphy bereits in mehreren Interviews zu diesem Album, dass die Pause der Band sehr gut tat. Man konnte ein wenig Abstand zueinander und zur Musik gewinnen, mit neuen Projekten experimentieren (MOUTH OF FLOWERS) oder einfach nur gänzlich abschalten. So ist Bitter Clarity, Uncommon Grace nicht nur das längste und unpolitischste Album, sondern vor allem auch das am schwersten zugängliche Album von VERSE geworden.
Es erzählt wie die Menschen mit den täglichen Schwierigkeiten umgehen und versuchen diese zu meistern. Es erzählt, dass es niemand leicht hat und die Welt nicht auf uns angewiesen ist. Dass wir immer die Möglichkeit haben den richtigen und falschen Weg zu gehen. Dass das Leben ein ziemlich aussichtsloses Etwas ist, aber wir verdammt nochmal das Beste daraus machen sollen: Do not, for one second, think that you will escape the same hell as me. But try.
Ungewohnt unpolitisch, sondern sehr persönlich kommt es hier aus Murphys Mund. Er prangert nicht mehr an, er stellt fest. Er sagt nicht was wir ändern sollten, sondern was er ändern muss. Es scheint als lag ihm ein riesiger Haufen Scheiße auf der Seele, den er nun mit diesen Album verarbeiten musste und es auch tat. Und ja, natürlich war VERSE spätestens seit Aggression die “Politik-Hardcore“ Band. Und ja, auch ich hätte mich über ein weiteres Album in diesem Stil gefreut. Aber mit diesem Album beweist Sean Murphy, dass er so viel mehr kann als nur über den politischen Missstand dieser Welt zu philosophieren. Muss auch mal sein - auch in Zeiten von Occupy und Finanzkrisen.
Untermalt werden diese Geschichten von teilweise sehr rock / metal lastigen Riffs, die wir so noch nie von VERSE gehört haben. Hier wird schnell deutlich, dass auch der Rest der Band sich weiterentwickelt hat und persönliche Musikeinflüsse mit in Bitter Clarity, Uncommon Grace eingeflossen sind. Auch sind die Songs um einiges länger geworden. Bis auf die drei instrumentalen Songs (Segue One/Two/Three) gibt es keinen einzigen Song, der auch nur knapp an der Minuten-Marke kratzt. Viel mehr gibt es viele Songs, die drei Minuten und länger geworden sind. Ob das sein musste oder nicht sei mal dahin gestellt, macht aber definitiv Spaß beim zuhören, weil es zumindest für VERSE etwas gänzlich neues ist.
Letztendlich bleibt nur zu hoffen, dass die Leute, die das Album schon in der Stream Qualität gehört haben, es nun noch einmal im richtigen, angemessenem Gewand hören und Bitter Clarity, Uncommon Grace eine neue Chance geben. Am besten mit den Texten und auf dem heimischen Plattenteller. Verdient hätten VERSE es.
Nicht nur die Politik muss verändert werden, sondern auch wir müssen uns verändern. Alle. Immer.
Tracklist:
01. The Selfish Of The Earth
02. The Selfless Of The Earth
03. The Silver Spoon And The Empty Plate
04. Setting Fire To The Bridges We Cross
05. Segue One
06. You And I Are The Fortunate Ones
07. The End Of All Light
08. The Relevance Of Our Disconnect
09. Segue Two
10. Oceanic Tendencies
11. Finding A Way Out When There Is No Way
12. Segue Three
13. The End Of All Life