Plattenkritik

Vierkanttretlager - Die Natur greift an

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Release Date: 27.01.2012
Datum Review: 14.01.2012

Vierkanttretlager - Die Natur greift an

 

 

Die Abiturienten der Hamburger Schule feiern in den nächsten Jahren dann wohl ihr 15jähriges Abiturjubiläum und längst haben sie ihr Erbe weit über die Grenzen der Hansehauptstadt hinaus verteilt. Viele haben sich ihren Teil abgeholt. Einige wenige haben es nach diversen Schulreformen ebenso erfolgreich zum Abitur geschafft und so streben auch VIERKANTTRETLAGER vielleicht ein Stück weit in diese Richtung. Husum ist ja nunmal nicht so weit von Hamburg entfernt. Sind Reformen vielerorts verteufelt, so haben doch einige auch ihr Gutes gehabt. Begeben wir uns also auf eine kleine Reise durch die Entwicklung der Indieszene des Landes. Wie ein altes Mixtape das man nach einiger Zeit herauskramt, hört sich "Die Natur greift an" nämlich an.

Wie bereits erwähnt erinnern VIERKANTTRETLAGER wunderbar an die alte Hamburger Schule. Ziehen wir TOCOTRONIC den politischen Pathos ab und setzen stattdessen Emotionen ein, sind wir bei VIERKANTTRETLAGER angekommen. Fast schon dialektisch im Sinne einer anderen Schule. Besungen wird die Natur mit all ihren schönen und gewaltigen Eigenschaften. Gezogen wird im Folgenden die Parallele zum menschlichen Leben. Kommt einem Konzeptalbum zwischen Orkantief und lauem Frühlingshoch nahe. Kunsthistorisch wäre das Romantik, aber lassen wir auch das lieber sein. Schulreformen eben. FINDUS, MATULA, TURBOSTAAT, CAPTAIN PLANET und Konsorten bekommen neue Kollegen.

Bei "Drei Mühlen" setzen sie direkt mit urtypischen Gitarren an und öffnen mit dem energischen Gezupfe Herz und Ohren. Gitarrenriffs locker aus dem Handgelenk bei "Zwischen den Zeiten". Kennt eigentlich noch wer ACHTUNG! KABEL aus Hamburg? Danach hört es sich jedenfalls textlich und musikalisch auch ein wenig an. Chaos, Gewühl und man weiß nicht, wohin mit den emotionalen Bauchschmerzen, die gegen Ende des Songs tönen. Orkantief. Vielleicht in einen Kuss der folgt und der sich so leicht hinaufschraubt, wie in "Das neue Gold". Da ist diese notwendige (Er-)Lösung. Frühlingsbrise. Darum gibt es dann nämlich auch noch einen Emosong in Tradition der Bands hierzulande, dieser passenderweise hier gemeinsam mit CASPERS Kratzeisstimme (Man hilft sich wo man kann).

Und wir sind noch nicht am Ende mit den Vergleichen. Dass VIERKANTTRETLAGER ihrer nordischen Heimat auch noch einen Gruß mit dem Schifferklavier zuwinken, versteht sich von selbst. Lässt man das Schifferklavier hier mal beiseite, schütteln sie auch mal kurz BLUMFELD die Hand. Für den Fall dass der Grog oder die Brise zu stark waren, gibt es auch einen wundervollen Sonntagskatersong. "Nur die Sonne" hört sich so richtig schön nach Pelz und fiesem Geschmack auf der Zunge, Kopfweh und Einsamkeit an, die man einlud als man das Partytreiben verließ. Und natürlich nach grenzenlosem Selbstbedauern und der Sonne die durch die Vorhänge Nägel in die Augen schießt. Auch SURROGAT (jaja, Berlin) geben hier und da noch einen Hauch von kryptischer Zerrissenheit für Text und Klang mit dazu.

Und weil dieses wunderbare Album wie eine kleine Reise durch sämtliche Facetten des alten Indie klingt, wie das erwähnte Mixtape, welches vom vielen Hören schon eiert, gibt es auch noch ein wenig gesprochene Lyrik. Kokett von RILKE (aka Rainer Maria) inspiriert, nur eben in zeitgemäß. Vielleicht Banknachbarn? Und es endet so, dass TOCOTRONIC sich ein bisschen hintergangen fühlen dürfen. Wenigstens mit "Gib deinem Leben keinen Sinn".

Es ist keineswegs so, dass VIERKANTTRETLAGER einfach nur abkupfern würden, dafür haben sie für die alten Trainingsjackenträger viel zu viel verwirrende Neuerungen an Bord. Vielmehr haben sie sich die richtigen alten Fotos aus dem Album von früher herausgepickt und mit eigenen Ideen neu zusammengeürfelt. Das klingt ganz wunderbar, teilweise vertraut, doch nicht nach "hatten wir schon alles". Schule wird es immer geben, passen wir sie den neuen Gegebenheiten an. Und manchmal ist es da dann auch schön. Hamburger Schule is not dead!

Tracklist:
1. Drei Mühlen
2. Mein Ruf
3. Zwischen den Zeilen
4. Das neue Gold
5. Hooligans (mit CASPER)
6. Fotoalbum
7. Nur die Sonne
8. Schluss aus raus
9. Um Schönheit zu sehen (Die Natur greift an 1)
10. Keine Menschen mehr (Die Natur greift an 2)
11. In Jedem seiner milden Blicke
12. Gib deinem Leben keinen Sinn (Die Natur greift an 3)

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Jule

Autoren Bio

wäre gern teil einer postfeministischen emopunkband/ verbalprimatin/ kuchenveganerin/ ich kann mir keine songtitel merken, selbst die meiner lieblingssongs vergesse ich.../ ich bin nicht betrunken, ich bin immer so/ fraujule.blogspot.de