Seit einigen Jahren sind die Jungs von WATCH OUT STAMPEDE! schon unterwegs. Damals zwar noch unter anderem Namen, mit anderer Musik und Besetzung, doch dass sie quasi ein über Nacht aus dem Boden geschossener Pilz sind, das kann man dem Quintett nun nicht nachsagen. Sie haben sich ihre (live) Sporen bereits verdient. Nun gibt es böse Zungen, die ihnen eine gewisse Trend-Affinität vorwerfen. Auf Grund der Tatsache, dass man sich eines Tages über seine Stärken und Schwächen, Wunschvorstellungen (musikalisch, aber auch geschäftlich) und Möglichkeiten ganz bewusst Gedanken gemacht hat, und dem entsprechend handelte. Eine komplett neue Band wurde aus dem Boden gestampft und in der Hinsicht ist der Bandname dann auch Programm gewesen. Die Truppe hat danach kein Eisen nur im Feuer liegen und glühen lassen, sondern beständig daran gearbeitet, dass die neue Klinge stahlhart und rasiermesserscharf wird. Dazu dann noch ein gutes Gespür für das richtige Coverstück und manche Türe öffnet sich. Ob dies nun gelungen ist, das liegt im Auge des jeweiligen Betrachters. Doch hart verdient ist es in jedem Fall. Das kann an keiner Stelle negiert werden.
„Reacher“ ist das erste Album von Dennis, Andy und Co. das über das Label Noizegate Records vertrieben wird, und welches sich definitiv hören und sehen lassen kann. Das Rad wird hier ganz sicher nicht neu erfunden: Eine seit Jahren funktionierende Mischung aus abwechslungsreichem Shouting, gepaart mit melodiösem Gesang, dazu Metalriffs, deren Arrangement immer wieder Raum für Breakdowns gibt. Insgesamt ist man recht Groove-orientiert, was positiv auffällt. Dann füge man noch ein paar elektronische Komponenten hinzu, sowie (stimmliche) Effekte, schiebt alles etwas zurecht und ins passende Bild und am Ende hat man eine (genretypische) Mischung die im musikalischen Schaffens- und Wirkungsbereich von ADTR, AILD, BMTH, MTAT und den anderen üblichen Verdächtigen anzusiedeln ist.
Songs wie 'Reacher', 'In Pictures' oder auch 'We Are The Branches' zeugen von handwerklichem Geschick und einem Gespür für die richtige Zusammensetzung von Intensität und Leichtigkeit, von Fülle und partieller Reduzierung auf das Notwendigste. Der Sound ist unfassbar dick, wenn ich auch den derzeitigen Konsens über einen vernünftigen Schlagzeugsound nicht teile. Da ist mir zu viel Kompression drauf und es fehlt an Tiefe; zu künstlich. Das Verhältnis von Gitarren und Bass finde ich gelungen. Insgesamt ist der Mix sehr ausgewogen und mächtig. Man hätte hier und da vielleicht ein bisschen an Melodyne und ähnlichem Schnickschnack sparen können, jedoch ist dies theoretisch damit zu rechtfertigen, dass diese Modeerscheinung in der populären Musik allgegenwärtig ist und auch als Stilmittel bewusst genutzt wird. Mir gefällt das allerdings nicht. Wobei ich nicht schmälern möchte, dass gerade im Bereich des Gesangs exzellente Arbeit geleistet wurde. Eingängigkeit und Abwechslungsreichtum lassen mich doch mit einem gewissen Genuss und anerkennendem Kopfnicken „Reacher“ mehr als nur einmal hintereinander weg hören. Die Gesangsmelodien finde ich etwas sehr eingängig und mit viel Ohrwurm-Mentalität konzipiert. Insgesamt zu schnörkellos, mit wenig Reibungspunkten. Es fehlt das Kantige, das gewisse Etwas. Jedoch: Man muss eine Stimme nicht schön finden, um wohlgesonnen fest zu stellen, dass diese sich doch auf Grund der Art und Weiser ihrer klanglichen Beschaffenheit von anderen absetzt; eben Wiedererkennungswert hat. Dies gilt auch für das Album: Ein eigener Sound ist wie eine unverkennbare Charaktereigenschaft und ich bin mir sicher, dass WS auch in dieser Hinsicht ihr Potential noch nicht gänzlich erschöpft haben.
„Reacher“ atmet (leider) genauso wenig wie manche Scheiben der amerikanischen Vorbilder. Ich mag es wenn man einem Album Raum lässt. Mehr ist nicht immer mehr, wenn hier auch Dynamik nicht gänzlich verloren gegangen ist. Die Songs sind in Aufbau und Sound recht homogen, um es einmal diplomatisch auszudrücken. Jeder für sich hat zwar etwas Eigenes, doch im Kontext der Platte stechen nur zwei wirklich heraus: 'In Pictures' und 'Allspark'. Alle anderen Stücke sind von der Formel her recht ähnlich gestrickt (ziemlich gut, aber eben berechenbar). Besonders die Gitarren Voicings hätten (verglichen mit den Vocals) etwas differenzierter ausgearbeitet werden können. Die sind mir insgesamt zu farblos. Songs mit einem Interlude Charakter wie 'Settler' einzupflegen ist keine neue, aber immer wieder eine gute Idee, wenn denn gut umgesetzt. Das Intro ist ja mittlerweile ein notwendiger Standard und passt ins Bild. Ich kann und will jedoch nicht behaupten, dass nicht alle Stücke sehr viel Arbeitswut aufweisen. Ob es nun am Detail oder am großen Ganzen fest zu machen ist: Hier ist viel Herzblut im Spiel. Das hört man in jeder einzelnen Minute. Doch es fehlt einfach noch an der Eigenständigkeit. Etwas, das klar WS zu WS macht. Bislang spiegeln alle Songs sehr die Einflüsse wider. Das auf mal solide, mal auf wirklich guter Weise, doch ist gerade in puncto Konkurrenz hier mehr Augenmerk gefragt.
Insgesamt gefällt mir „Reacher“. Nicht besonders innovativ, lässt sich dafür aber leicht anhören und wird mit Sicherheit nicht wenigen Menschen gefallen. Ein Actionfilm der von der Machart her anderen ähnelt, kann zwar leichte, aber definitiv unterhaltende Wirkung haben. Es muss ja nicht immer ein Hochkaräter mit schwergewichtiger Dramaturgue sein. Ersterer hat ebenso seine Daseinsbrechtigung, wie "Reacher".
Besonders möchte ich hervorheben, dass es nicht nach einer deutschen Produktion und Band klingt. Ich kann mir nicht vorstellen, warum sich auf Grund dieses Debuts nicht noch weitere Türen und Herzen für WS öffnen sollten. Sie sind der Beweis dafür, dass gute Bands aus diesem Bereich nicht zwingend nur aus dem Ausland kommen müssen. Wir haben auch Talent gleich hier um die Ecke. Also: Support it!!
Tracklist
1. The Crucible
2. Witch Trial
3. In Pictures
4. Settler
5. Reacher
6. Noble Arch In Proud Decay
7. We Are The Branches
8. Monsters
9. Allspark
10. Emily