Stellen wir den Menschen nackt dar. Ohne seinen Besitz oder seine Kleider, welche ihn in irgendeine Schublade stecken, ohne seine ganzen Verschleierungen und Ausreden über sich selbst, zwischen „wie ich sein will“, „wie ich mich darstellen möchte“ und „wie ich wirklich bin“. Was bleibt da am Ende übrig, wenn wir den Menschen so ganz nackt offenbaren, hier in unserer zivilisierten, westlichen Welt? Ein sensibles Etwas, zerfetzt von Gefühlen und Gedanken, von Ängsten und Wünschen, geprägt vom Idealismus und dem tiefen Fall auf den Boden der Tatsachen. „Wir fallen tief – weg von unser’m Paradies“ heißt es auf dem letzten Song von „Wille und Wahn“. Das innere der Verpackung der CD (kein Jewelcase, kein Digipack, sondern irgendwas spezielles aus dünner Pappe) zeigt eine nackte, mit Blut verschmierte Frau, welche auf dem einen Bild nach Sitte mit Gabel und Messer, auf dem anderen mit den Händen menschliche Gedärme verspeist. Was genau wollen EPILOG & MISANTHROP? Eindeutig ist das nicht festzumachen, doch die beiden schrammen Dinge an, kritisieren mit Verschleierung beziehungsweise indirekt Menschen in der heutigen westlichen Welt. Oder ist „kritisieren“ nicht schon zu hart? Vielleicht doch eher einfach Darstellung; Darstellung ohne Kritik, viel mehr Darstellung dessen wie der Mensch sich wirklich fühlt in diesen kapitalistischen Kosmos, wo Ideale von der Leinwand kommen und das Individuum zusehen muss wie es mit Ellbogen im Leben einen Platz findet. Und natürlich wie es sich damit lebt.
Musikalisch ist das vielleicht nicht ganz so düster und zerrüttend wie bei AUDIO 88 & YASSIN (sondern stimmungstechnisch viel näher an COCON), Parallelen gibt es dennoch: Die Bedeutung des Textes steht vor der Notwendigkeit des Rhyhmes, Dinge werden meist nicht direkt angekreidet, sondern bloß in den Raum gestellt und dabei gerne ins Lächerliche gezogen. Ein Sarkasmus, welcher sich über Großteile aber überraschend gut hören lässt: Zwar bohren epilog & Misanthrop über die gesamte Spielzeit in den Verhaltensstrukturen des Menschen, doch so wirklich grau und kaputt werden die beiden nur gelegentlich. Angenehm fürs eigentliche Hören des Ganzen (was ja auch – neben den Texten – nicht zu vergessen ist) sind auch die Features, wo mit „Colours Of The World“ und James P Honey u.a. eine nett eingängige Kollaboration aus deutsch und englisch geboten wird und auf „Kopf oder Zahl“ auch auf Französisch gespittet wird. Den wirklichen Abgrund heben sich epilog & Misanthrop fürs Ende auf: Das eben bereits erwähnte „Paradies“ konkretisiert noch mal das Dilemma des heutigen Menschen anhand einer Beziehung, welche nach und nach ihre Leidenschaft verliert. Und ausgerechnet dieser Song ist dann auch der hörbarste, der eingängigste, der konventionellste dieser Ansammlung mal mehr-, mal weniger zerreißenden, dabei aber immer sehr freien Stücke. Aber natürlich: Dieser Refrain dient nur dazu, diese eine, so bittere Zeile „Wir fallen tief – weg von unser’m Paradies“ immer und immer wieder zu wiederholen.
Und dann fragt man sich doch: Will man so viel Nacktheit hören? Und generell: Ist sowas musikalisch auch wirklich unterhaltsam - bei Texten, welche die Bedeutung vor den Rhyhme stellen und lieber innerlich verwüsten als eben zu unterhalten? Generell gilt: „Wille und Wahn“ ist weder Rap für Jedermann, noch Rap zum Nebenbeihören. Doch wie das auch auf so manch Buch zutrifft, verhält es sich bei „Wille und Wahn“: Die Stimmung mag zwar innerlich zerreißen, doch die Aussage fasziniert nachhallend – und das hat das Lesen letztlich dann doch lohnend gemacht. Und dafür muss man nicht mal die Meinung des Autors teilen.
Tracklist:
1. Der gute Wille
2. Sing für das Schweigen
3. Colours of the World// mit James P Honey
4. Wiederholungsübung
5. Arbeitsstundeneinheitsbrei// mit Misanthrop
6. Von Primaten
7. So einfach// mit Audio88 und Misanthrop
8. Die Choreografie der schönen Welt
9. Kopf oder Zahl// mit zoën
10. Worte vom Wahn// mit babel fishh
11. Lied der einfachen Weisheiten
12. What’s about that hope?// mit James Reindeer
13. Tanz der Normalität
14. Paradies