Bei dem Namen „Greenfield Festival“ mag es in den wenigsten deutschen Ohren klingeln. Sagt man jedoch, dass es ein weiteres Projekt des Hurricane und Southside-Veranstalters FKP Scorpio ist, läuten schon mehr Glocken. Und das Greenfield ist vor allem eins: Das perfekte Zusammenspiel deutscher und schweizer Organisation, ein herausragendes Lineup und ein umwerfendes Alpenpanorama.
Erst einmal zum Festival selbst: Im Gegensatz zu den deutschen Schwesterfestivals setzt das Greenfield deutlich mehr auf Metal und Hardcore. Und so pilgerten dieses Jahr mehr als 25.000 Menschen in das sonst so beschauliche und sehr reiche Interlaken, wo sich sonst Luxushotels, Rolexboutiquen und Casinos aneinanderreihen. Aber die Location ist auch auf andere Art besonders: Die Reise geht vorbei am karibisch-grünen Thunersee und das Festival liegt in einem von drei- und viertausender Gipfeln umsäumten Tal – traumhaft. Zusätzlich zu dieser Traumumgebung (man klettert morgens aus seinem Zelt und sieht Kühe auf einer Alm grasen, Glockengebimmel inklusive) kam dieses Jahr Traumwetter. Durchgängig 30 Grad und mehr, kaum ein Wölkchen am Himmel. Um Hitzschlägen und Sonnenstichen entgegenzuwirken baute der Veranstalter zahlreiche Wasserstationen, ein Schattenzelt und kostenlose Duschen auf. Generell wurde man extrem gut versorgt mit einer riesigen Auswahl an Essensbüdchen und Getränkeständen. Einziges Trübsal: Für Deutsche ist es sehr teuer, Essen (z.B. ein Döner) kostet umgerechnet 8€, 0,3l Bier ca. 4,50€. Ansonsten gibt es noch verschiedene Partyzelte, in denen man nach dem Ende der Bands um 01:00 Uhr noch endlos weiterfeiern kann.
Nun zu den Bands:
Wir kommen leider erst recht spät an, deswegen ist BURY TOMORROW die erste Band, die wir sehen. Die Jungs spielten ein solides und gutes Set, nur leider wollte der Funke nicht so recht aufs Publikum überspringen. Dafür war die Band umso begeisteter von der Bergkulisse.
Später übernahmen dann die kanadischen Punks von BILLY TALENT die Mainstage. Auch wenn man sie sich auf Platte vielleicht nicht so gut anhören kann, sie gehören eindeutig zu der Art Band, die einen live mit ihrer unglaublichen Energie in den Bann ziehen. Sänger Ben Kowalewicz springt die ganze Zeit wie ein schwitzender blonder Flummie über die Bühne und auch der Rest der Band ist wahnsinnig präsent und legt eine tolle Show hin. Und bei Songs wie „Rusted from the Rain“ und „Fallen Leafs“ haben sich schon die ersten im Publikm heiser geschrien.
Der große Headliner des Abends ist LIMP BIZKIT. Anfänglichem Zweifel zum Trotz, dass sie ihre besten Jahre doch schon hinter sich hätten, zeigen die Nu Metaller eine richtig gute Performance und können das Publikum mobilisieren. Die Band schöpft aus ihrer großen Anzahl von Songs und je nachdem ob gerade „Rolling“ oder „Behind Blue Eyes“ gespielt wird, pogt die Menge oder kuschelt, mit Feuerzeugen in der Luft. Einziger Kritikpunkt: Fred Durst spielt den betrunkenen Ego-Rockstar etwas zu gut. Immerhin beim Singen merkt man nichts, nur Ansagen wie „Douchebag…… eh… there are lots of….. (Pause)…. Douchebags… over here“ hätte man sich sparen können.
Samstag
Der zweite Festivaltag, der an sich sehr im Zeichen des Metals steht, beginnt für uns sehr progressiv mit LA DISPUTE. Man merkt, dass die junge Band zurzeit sehr geliebt und gehypt wird, denn zur frühen Stunde sind schon sehr viele (textsichere!) Zuschauer versammelt. Und die Band um John Dreyer ist schon wirklich etwas Besonderes. Da steht dieser junge und fragil wirkende Sänger auf der Bühne, Schultern vorgezogen und nestelt an seinem Mikro rum, auch der Rest der Band entspricht die meiste Zeit dem Musterbild eines introvertierten Musiknerds und trotzdem hypnotisieren sie das Publikum fast schon. Definitiv interessant anzusehen!
Währenddessen haben auf der Mainstage NEAERA schon die ersten Töne geschmettert. Die Band, um die es in letzter Zeit recht still war, erscheint sehr sympathisch und positiv geplättet von der Location. Auch ansonsten, merkt man, dass die fünf Münsteraner Spaß an ihrem Auftritt haben: Als sich eine Wall of Death öffnet und eine junge Schweizerin das Geschehen nicht so ganz versteht, sondern einfach mitsamt ihrer Picknickdecke auf dem freien Feld zwischen den zwei Wänden sitzen bleibt, wendet sich Sänger Benny Hilleke ganz freundlich direkt an sie. Das Mädchen, immer noch zu verdutzt um sich zu bewegen, wird kurzerhand einfach mit ihrer Decke weggetragen.
Für viele waren sie der eigentliche Höhepunkt am Samstag: SKINDRED mit ihren abgefahrenen Klamotten und einen Wahnsinns Bühnenshow. Ihr Mix aus Metal und Reggae trifft den genauen Nerv des Tages und der tropischen Temperaturen und sie heizen dem Publikum so richtig ein. Kollektives Durchdrehen vom feinsten.
Da ALL SHALL PERISH verkehrsbedingt verhindert waren und ihren Auftritt absagen mussten, konnte man sich später voll und ganz HEAVEN SHALL BURN widmen. Was soll man sagen, die Thüringer sind eben auf Festivalbühnen zu Hause und blühen dort wie kein Zweiter auf. Die Stimmung in der Menge war unbeschreiblich, ein nicht enden wollendes Aneinanderreihen von Circle Pits und Walls of Death, eine einzige große Party und ein frenetisches Abfeiern der Band als große Superstars. Aber all das verdient, denn HEAVEN SHALL BURN legten einfach einen perfekten Auftritt hin, der natürlich, eingeleitet von Olafur Arnalds Intro, in „Endzeit“ gipfelte.
In der Zwischenzeit hatten HOT WATER MUSIC auf der anderen Seite des Festivalgeländes schon mit ihrem Slot begonnen. Das Quintett aus Florida spielt ein solides, eingängiges und emotionales Set, an sich zwar nichts Besonderes, aber dem Publikum gefiel es und wollte die Band am Ende fast nicht mehr von der Bühne lassen.
Kurz darauf, andere Bühne, andere Band, anderes Genre: Die Metal-Urgesteine von IN FLAMES sind trotz jahrelanger Bühnen-/Berufserfahrung kein bisschen müde, dafür umso sympathischer und vor allem gut. Klasse Set mit einem Mix aus alten und neuen Songs, darunter auch Hits wie „Ropes“ und „Fear is the Weakness“.
In PENNYWISE habe ich nur kurz reingehört, um rechtzeitig beim großen Headliner des Abends zu sein. Ganz in alter Punkmanier steht der Auftritt im Zeichen von „Anti alles für immer“, für manches wird man scheins nie zu alt. Der Meute vor der Bühne gefällts, gröhlt mit und ein riesiger wilder Pogopit entsteht. Auf jeden Fall hatten alle Beteiligten vor und auf der Bühne großen Spaß bei dem Auftritt.
Großer Headliner des Abends sind THE OFFSPRING – und nebenbei noch eine mittelschwere Enttäuschung. Was man so von den wenigen willkürlich ausgewählten Fotografen hört (keine Bilder von der Seite – nur Portrait – keine Nahaufnahmen der Gesichter – nicht mehrere Members auf einem Bild – Aufgabe aller Bildrechte) wirft leider einen schlechten Schatten und bestätigt den ersten Eindruck. An dieser Band sind wohl alle früheren Punkeinflüsse verloren gegangen, jetzt ist es nur noch der Ausverkauf von eitlen alten Männern. Sänger Bryan „Dexter“ Holland sieht man auf der Großbildleinwand nur aus der Ferne (scheinbar hatte der Festivalkameramann auch Restriktionen) und bei Gitarrist Kevin Wasserman bekommt man den Eindruck „Hauptsache die Frisur sitzt“. Auch ansonsten wirkt die Band nicht so, als wäre man mit besonders viel Leidenschaft bei der Sache, man erledigt einfach seinen Job und unterhält die Massen. Das taten sie zweifellos recht gut, alle bekannten Hits zum Mitsingen und so weiter, die Frage ist nur einfach, in wie weit man das möchte.
Sonntag
Am letzten Festivaltag ist das gesamte Programm um zwei Stunden nach oben gerafft, so dass das offizielle schon um 23:00 statt um 01:00 Uhr ist. Dementsprechend früh, also um kurz nach 12:00 Uhr klettern die etwas zerknautscht wirkenden WHILE SHE SLEEPS auf die Clubstage. Persönlich hatte ich mit großen Erwartungen auf diesen Gig geschielt und diese Erwartungen sollten sich größtenteils erfüllen. Ein für die Uhrzeit schon recht großes Publikum (die üblichen Verdächtigen, gestylte Showmosher und Co.) konnte sich bei der Show der jungen Engländer gut warm tanzen. Die Band selbst spielt mit viel Leidenschaft und Hingabe, zwar nicht immer gerade, aber trotzdem gut. Es werden Songs vom neuen Album präsentiert und abgeschlossen wird mit einer sehr energiegeladenen Darbietung ihrer Hymne „Crows“. Ein guter Vorgeschmack auf ihre Leistungen und man darf gespannt sein, wie sie sich auf ihrer Tour mit Architects im Herbst schlagen.
Kurz darauf, immer noch an der Clubstage, erklimmen EMMURE die Bühne. Zum Glück hatte man sich vorher schon warm getanzt, denn jetzt darf jeder zeigen, was er in den Moshpits daheim so gelernt hat. Sänger Frank Palmerie steht wie gewohnt unter dem Einfluss aller erdenklichen illegalen Substanzen und mimt bei 30 Grad im Schatten, eingemummelt in seine Winterjacke, vor allem den böse blickenden Marionettenspieler. Die Kids im Publikum haben ihren Spaß, aber mir wird es nach drei Songs irgendwann zu blöd.
Einige Zeit später wird meine Stimmung durch die DONOTS deutlich wieder gebessert. Die sympathischen Alternarocker aus NRW spielen die gut gelaunten Animateure vom Dienst, auch wenn es ab und an etwas aufgesetzt wirkt. Aber egal, der Spaß, den sie auf der Bühne haben springt auf das Publikum über und mit allerlei „Mitmachspielen“ (Müll werfen, etc.) heizt man eine große, gut gelaunte Party an.
Die nächste Band sorgte von Anfang an für Kontroversen unter den Festivalbesuchern: REFUSED treten um 16:00 Uhr für ihr Set auf der Mainstage an. Eingefleischte Fans waren sich unsicher, ob sie sich die Reunion („das ist doch pure Geldmacherei“; „Ausverkauf!“) überhaupt ansehen wollen, andere waren interessiert und hatten bisher nur Gutes von der Band gehört. Ich enthalte mich der Debatte, nur so viel: Musikalisch einwandfrei, teilweise etwas energielos und der Funke, der echten Publikumskontakt hergestellt hätte, wollte nicht so recht überspringen.
Wesentlich Publikumsnäher ging es da bei THE HIVES zu. Die fracktragenden Zylinder aus Schweden präsentieren sich als willenlos machende Puppenspieler und absolute Stimmungskanonen. Nach wenigen Songs, stellt der Sänger fest, dass sie nun alles mit dem Publikum anstellen könnten und diese es noch toll finden würden. Aber so war es eben auch: Die Schweden lieferten eine absolut perfekte, dabei provokante Show, bei der man sich am Ende wundert, dass eine Stunde Spielzeit schon vorbei ist.
Währenddessen konnte man auf der Clubstage schon eine Mischung aus niedlichen Pandas, KISS und Dragqueens bewundern: BLACK VEIL BRIDES waren zu ihrem Auftritt angetreten. Man kann über die Band so manches sagen und auch so manches Klischee wurde bestätigt – z.B. ein Liebesgeständnis eines 16-jährigen Fangirls und eine sehr souveräne und nette Antwort des Sängers Biersack – aber eins steht fest, nämlich dass sie eine sehr gute Bühnenleistung präsentierten und mit ihren Fans umzugehen wissen. Auch wenn sie musikalisch und darbietunsmäßig nicht jedermanns Geschmack treffen, so muss ich doch sagen, dass ich absolut begeistert war von der klaren, dabei rauchigen und kraftvollen Livestimme von Sänger Andy Biersack.
Nach wenigen Songs musste man jedoch wieder zur Mainstage hechten um möglichst wenig von dem sich überschneidenden Set von RISE AGAINST zu verpassen. Erst im Winter waren sie auf riesigen Hallenshows zu sehen und jetzt touren sie wieder die Festivalbühnen Europas. Aber RISE AGAINST sind eine ganz besondere Band, trotz ihrer Größe und ihres Erfolgs noch so Publikumsnah und dabei bodenständig und auf ihre Werte fixiert. Und kaum einer schafft es, so viel Charisma zu versprühen, wie Sänger Tim McIlrath, dass die Massen an seinen Lippen hängen und den politischen Statements zuhören. Trotzdem schaffen sie den Spagat einer Greenpeace Veranstaltung mit einer einwandfreien musikalischen Unterhaltung. Sehr gut und immer wieder ein Erlebnis wert!
Absolutes Highlight des Tages sind jedoch ENTER SHIKARI. So eine abgefahrene Liveshow, Reizüberflutung inklusive. Man weiß gar nicht, wo man hinsehen und hinhören soll. Dass der Sänger mit Mikro zum Crowdsurfen in die Menge hüpft, ok. Aber gleich darauf packt sich der Gitarrist Liam Clewlow seine Gitarre und den Mikrophon Ständer und klettert, halb spielend, halb singend, einhändig das Stahlgerüst an der Seite der Bühne hoch. Als er wieder festen Bode unter den Füßen hat, springt er ins Publikum und rennt (mit Gitarre) einen riesigen Bogen hinter zum Wald, begleitet von Rou Reynolds Rufen „Follow him to the trees! To the trees! For the love of God, follow him to the trees!“, und eine große Horde an Menschen flitzt ihm hinterher. Zurück auf der Bühne wird eine große AMP heruntergereicht und auf Leute im Publikum gelegt und Liam stellt sich darauf um zu tanzen und anschließend in die Menge zu springen. Wahnsinnig. Eigentlich wollte ich nach drei Songs verschwinden, aber diese verrückten Engländer versprühen eine Intensität, die einen nicht weg lässt. Die Band hat mindestens genauso viel Spaß an ihren live gemixten Samples und Breakdowns, wie das durchdrehende Publikum. Eine ganz große Party der besonderen Art mit einer Darbietung eines Best Ofs der bisherigen Alben. Definitiv ein gelungener Abschluss des Greenfield Festivals, denn zu den ÄRZTEN haben wir es aus zeitlichen Gründen dann leider nicht mehr geschafft.
Fazit: Gerne wieder und ein absoluter Geheimtipp (auch für Deutsche). Wer die hohen Preise verschmerzen kann kriegt für sein Geld definitiv viel geboten. Klasse Bands und eine tolle Organisation!