Halbzeit im Musikmarathon mit ca. 100 Künstlern! Heute brennt die Sonne, doch der kühle Wind ist trügerisch. Eben diese Sonne brennt dann auch die Deutschland Kreiden und Schwarz-Rot-Goldenen Sternchen Abziehtattoos in die Haut ein, die heute mit der sonst üblichen Neon Kriegsbemalung konkurrieren. Es ist der Tag des Deutschland Spieles, doch abgesehen von genannten Körperverzierungen und Trikots ist der zweite Tag des Southside Festivals dann doch der Musik gewidmet.
The White Stripes unter umgekehrten Vorzeichen. Das ist es, woran man zuallererst denkt, wenn man THE BLOOD RED SHOES heute zur Einstimmung in den zweiten Festivaltag sieht. Hier sind die Rollen vertauscht – sie spielt Gitarre, er Schlagzeug, aber singen tun sie auch gemeinsam. Doch was da aus den Boxen kommt klingt dann ganz anders als das andere Zweiergespann. Wunderbar straighter Rock mit Klarheit, dreckige Riffs, Schreie, die sich mit einer überraschenden Aggressivität in der zierlichen Laura-Mary Carter aufbauen und herausbrechen. Poppigere Parts und ein Schlagzeug, in das sich ab und an ein kleiner Punk-Beat einschleicht, runden das Ganze ab. Und all das wird um drei Uhr Nachmittags von einer bereits überraschend großen Menge an der Green Stage angenommen.
Wesentlich danciger wird es an der Blue Stage mit THE NAKED AND THE FAMOUS, was den meisten noch aus dem VIVA-Spot von 2011 bekannt sein dürfte. Die ursprünglich aus Neuseeland stammende 5-köpfige Truppe bietet ein nettes kurzweiliges Dance-Intermezzo, wohl aber auch nicht sehr viel mehr.
Wir wechseln zurück zur Green Stage, die bei guten, nicht so menschlich-angefüllten Bedingungen, in nur 2-5 Minuten von der anderen Hauptbühne aus zu erreichen ist. Da geht es rockig weiter, als THE SUBWAYS ihr Set mit ihrem Hitgaranten „Oh Yeah“ eröffnen. Danach rollt auf das Publikum eine gutgelaunte Rockwelle zu. Und obwohl sich die Gitarre von Gitarrist/Sänger Billy Lunn während der Songs immer wieder verstimmt (er entschuldigt sich artig, beschwert sich über den „guitar demon“ und betet zum „guitar god“, dass es sich doch ändern möge) und der Backing-Gesang von Charlotte zu Beginn kaum zu hören ist, ist die Performance der Band insgesamt jedoch gut, souverän und vor allem sympathisch. Bassistin Charlotte wirbelt über die Bühne und Schlagzeuger Josh Morgan hämmert geradezu stoisch auf die Drums ein. Ein schönes Set mit Mitsing- und Mitspring-Garantie, gerade bei Songs wie „We Don’t Need The Money To Have A Good Time“ und „Rock’n’Roll Queen“.
Kurz darauf übernehmen FLOGGING MOLLY das Zepter auf der Green Stage. Die Irish Folk Combo aus Los Angeles sind ihrerseits ja bekanntlich auch schon ewig im Geschäft und haben ihren Sound verperfektioniert. Da bekommt man Irish Folk auf die Ohren, der durch den Punk-Fleischwolf gedreht wurde. Der Gute Laune Pogo-Pit, der von den treibenden Drums und dem martialischen Dudelsack in Gang gehalten wird, reißt nicht nur Fans mit. Das macht dann bitte ca. 5000 Krüge mit Whisky.
ELBOW gehen nach diesen Energieschüben der Vorgängerbands etwas unter. Was schade ist, den die paar wenigen, die da waren – und wir sprechen hier wirklich von wenigen, denn die Bühne war abends um 19:00 Uhr leerer als um 15:00 Uhr – haben ein kleines musikalisches Schmuckstück miterlebt. Die Atmosphäre war dann schon beinahe intim vor der Bühne und die Musiker ließen sich durch die geringe Anzahl an Zuschauern nicht betrüben. Mit Hingabe performeten sie ihre eingängigen und einfühlsamen Melodien, die manchmal von Streichern, vor allem aber von Guy Garveys ungewöhnlich schöner Stimme getragen wird. Live geht besonders „The Bones Of You“ unter die Haut. Man fragt sich nur, warum gerade Briten ein Banner auswählen, dass so sehr an die Weeping Angels aus Dr. Who erinnert. Aber darüber zu sinnieren hat man genügend Zeit, während ihres gen Ende hin dann doch irgendwie langatmigen Sets.
Man wundert sich nur, wo der Tag eigentlich hin ist. Doch da ist die Sonne schon untergegangen und es ist bitter kalt geworden. Da hat dann das unfassbare Menschengedränge bei CASPER zumindest den Vorteil, dass man bei ca. 10°C nicht friert. Mit viel Gekreische von ansonsten braven Teenies wird der Rapper dann auf der Blue Stage Willkommen geheißen. Nicht zuletzt daran merkt man auch, wie sehr er mit „Hinterland“ vom Mainstream angenommen wurde. Und obwohl er Songs quer durch seine Geschichte zum Besten gibt, werden doch die von der aktuellen Platte gefühlt ein Quäntchen lauter mitgesungen. Auch wenn diese Textsicherheit bei allen Liedern Casper wirklich emotional bewegt, so wunder man sich doch: Was fühlt ein Künstler, wenn er Songs gibt, in denen es ums Ausbrechen geht („Auf und Davon“), das von zigtausenden energetisch mitgesungen wird, und eben genau jene im Großteil sich nach dem Festival nur wieder allzu genau ins Korsett einschnüren? Aber so viel Tiefgang darf man dann eben auch nicht erwarten. Casper macht die altbekannten „erst die Eine, dann die andere Seite“-Spielchen und wie durch ein Wunder sind am Ende beide gleich laut. Immerhin ist er an dieser Stelle selbst etwas zynisch. Mit einem Feuerwerk zum letzten Song „Hinterland“ endet ein schönes Konzert (von der Stange).
MACKLEMORE erweist sich als richtige Laberbacke. Es liegt eine richtige Spannung in der Luft, als sich beinahe 50.000 Menschen beim heimlichen Headliner vor der Bühne zusammenschieben – beim offiziellen Headliner ARCADE FIRE dominieren lichten Reihen das Bild. Während der kurzen Verzögerung bis zum Auftritt hat man die Chance, sich seiner Nebensteher im Publikum zu erfreuen, die in verschiedenen Stadien des Deliriums neben sich stehen. Da ist man dann froh, als eine Flagge, die sich nicht entheddern will, das Konzert eröffnet und den Blick von pöbelnden Abitur-Dorfkindern abwendet. Es folgt großes Gekreische, als Mr. Macklemore und Ryan Lewis die Bühne erobern und mit „Ten Thousand Reasons“ eröffnen. Gleich danach wirft man der Meute einen schön saftigen Kauknochen vor, denn mit seinem Nummer 1 Hit „Thriftshop“ als zweite Nummer ist die kollektive Manie gesichert. Generell ist die Hitdichte in dieser 11 Songs umfassenden Setlist sehr hoch, allein „Can’t Hold Us“ wird zweimal gespielt, davon einmal in der Zugabe. Und hier kommen wir wieder zu der Plaudertasche Macklemore: Der Mann aus Seattle füllt die Pausen zwischen seinen 11 Liedern in der eineinhalb stündigen Spielzeit mit Gequatsche über Gott und die Welt. Dabei kann er auch musikalisch, mit schönen Live-Variationen und einer tollen Stimme. Noch schöner sind jedoch seine (manchmal auch kurz gehaltenen Ansagen) bei „Same Love“ und „Thin Line“, bei denen man seine Betroffenheit und Tiefgang in Form eines Kloses in seiner Stimme hört. Schön, kurzweilig, unterhaltsam und gleichzeitig mit schweren Momenten. Gute Nacht um 02:00 Uhr.