Unübersehbar ist das. Rockbands mit deutschen Texten sind nicht erst seit 2019 ganz schön angesagt. Zwar mag mir das auch so vorkommen, weil ich mich in den letzten Jahren zunehmends mit Hamburger Schule beschäftige, aber auch abseits von dieser „Stilrichtung“ ist es eindeutig: FJORT, GURR, PASCOW, LOVE A, TURBOSTAAT (von mir aus kann man auch OK KID und BILDERBUCH nennen, wenn man in noch poppigeren Gefilden suchen möchte) – all diesen Bands scheint es prächtiger denn je zu gehen, kaum ein Festival-Lineup ohne einen großen Anteil aus diesem Paket. Viele haben mittlerweile selbst den Headliner-Status inne. Die Frage ist nicht ob, sondern welche Kapazität die Bands ausverkaufen. Vielleicht kommt die Emotion, die all diese Bands rüberbringen, in Deutsch einfach direkter und besser beim Publikum an. Nationalitätsstolz weit gesucht, versteht sich – bei jedem der Künstler, von dem ich rede, ist die politische Gesinnung klar erkennbar links. So auch bei LYGO. Die Band aus Bonn, mit der ich mich noch gar nicht so lange beschäftige, besticht meiner Meinung nach durch einen ziemlich kantigen Sound, an dem man sich reiben kann. Zwei Shouter, die fernab von Pop-Strukturen ausgefeilte Texte in teilweise recht vertrackter Rhythmik über ihr Instrumentenspiel brüllen. Und klare Worte.
TIGERYOUTH passt bei all dem oben genannten sehr gut ins Vorprogramm des heutigen Abends. Ebenso würde er das bei den anderen genannten Künstlern (außer die in den Klammern vielleicht). Und das, obwohl er der einzige Künstler ist, der keine Band hat, sondern solo unterwegs ist. Forever alone, der Tilman. Oder eben auch nicht, schließlich erklärt sich das ruhige letzte Jahr um ihn dadurch, dass er inzwischen Vater geworden ist. Vermutlich aus diesem „schönsten aller Gründe“ hat es zwischen Album 2 und Album 3 nicht zwei, sondern drei Jahre gedauert. Denn Bock scheint TIGERYOUTH immer zu haben, und Musik schreibt er eh immer. Mit „Schmuck“ kommt am Freitag, den 29. März die neue Platte raus. Angeteast hat Tilman bisher „Tag oder Nacht“ (ungewohnt up-beat für meine Begriffe) und „Am nächsten Morgen“. Ich treffe ihn vor der Düsseldorfer Tube, schnacke kurz mit ihm. Da fällt ihm auf, dass er die beiden Songs heute gar nicht live spielt. „Ganz schön dumm, oder?“, kommentiert er. Flapsig und nahbar wie eh und je hat er das Publikum auch am heutigen Abend von Sekunde eins in seinen Bann gezogen. Und neben den neuen Songs, die dann natürlich kein Arsch kennen kann, gibt es natürlich auch älteres Material auffe Ohren. „Herz schultern“ beispielsweise, der die von ihm so oft perfekt in Textform gegossene Emotion gut verkörpert. „Mammon“ zeigt hingegen eine andere Seite von TIGERYOUTH – er kann nicht nur ruhig und berührend gut, sondern auch dreckig und reißerig. Fueled by alcohol bietet Tilman auch in den Pausen zwischen seinen Songs beste Unterhaltung, eine Grenze zwischen Publikum und Künstler ist nicht spürbar. Fühlt sich einmal mehr sehr gemütlich und ausgelassen an.
Auch in punkto „Kein Unterschied zwischen Zuschauern und Band“ passt TIGERYOUTH gut zum Hauptact LYGO. Auch die drei Bonner hängen den ganzen Abend mit ihren Bekannten ab und erzeugen später auf der Bühne sofort ein familiäres Gefühl. Auch Fans der ersten Stunde wird nahegelegt, mit der Band in Beziehung zu gehen. Das Tube ist muckelig gefüllt, vielleicht sogar ausverkauft. Der Schweinepogo entfaltet sich schnell. Nostalgische Mitdreißiger (gefühlte Mitte – Ende zwanzig) freuen sich darüber, dass es noch gute „neuere“ Bands gibt. Gerade einmal oder noch nicht mal Volljährige feiern LYGO ebenso ab, ohne Anzeichen von Verkopftheit oder Zwang. Es ist der zweite Teil der Promo-Tour zum 2018 erschienen Album „Schwerkraft“, den ersten Teil hatte das Trio im letzten Oktober gespielt. Letztes Jahr war ich auf keiner Show, aber es lässt sich vermuten, dass die Songs seitdem nochmal mehr Zeit hatten, auf die Fans zu wirken und sich einzuprägen – denn bei „Schraubzwinge“ und bei „Nervenbündel“ wird nicht etwa weniger mitgebrüllt als bei den Songs der grandiosen „Misere“-EP. „Keine Leichtigkeit“ könnte diesbezüglich gar der Höhepunkt des heutigen Abends sein. Die Angepisstheit (man könnte es angesichts der beiden Stimmen auch Giftigkeit nennen) LYGOs kommt live noch eine ganze Ecke besser rüber. Der Mittelfinger an das Spießbürgertum und an mit Belanglosigkeiten verschwendete Lebenszeit ist gefühlt ständig präsent und vereint das Tube für eine Dreiviertelstunde in einer Mischung aus Verstandensein, Gemeinschaftsgefühl, sowie einigen Prisen Stolz, Verachtung und vielleicht auch ein wenig Wut. Kathartisch entlädt sich die Mixtur in ausgelassener Stimmung unter einigen Bierduschen vor der Bühne. Hat etwas von einem Heimspiel, aber Bonn ist ja auch nicht weit. Laut Tilman war es für LYGO wohl das beste Konzert dieser Tour.