"Requiem For Mankind" ist jetzt schon euer drittes Album in nur drei Jahren. Ihr scheint sehr aktiv und enthusiastisch zu sein. Wie unterscheidet sich eure Herangehensweise von euren alten Bands? Weder BOLT THROWER noch BENEDICTION waren oder sind ja für ihre regelmäßigen Veröffentlichungen bekannt.
Ja, diese unglaubliche Geschwindigkeit war durchaus beabsichtigt und wir haben durchgehend hart für unser Ziel gearbeitet, unter der Prämisse: tu soviel du kannst, solange du kannst! Dabei haben wir aber gar nicht so sehr über den Prozess an sich nach gedacht. Wir haben einfach ein Album aufgenommen, es veröffentlicht und mit dem nächsten Album angefangen. Nach drei Alben in drei Jahren sind wir jetzt allerdings an einem Punkt, an dem wir vielleicht einen Gang runterschalten, es langsamer angehen und das Erreichte genießen.
Mit BOLT THROWER war es ja am Ende so, dass wir gar keine Alben mehr veröffentlicht haben. Für Konzerte war das wegen unseres umfangreichen Backkatalogs auch gar nicht nötig. Für mich als Musiker, Songwriter und Texter ist der kreative Prozess, das schreiben von Lyrics und Songs aber sehr wichtig. Das ist für mich der Grund in einer Band zu sein und das hat mir gefehlt. In gewisser Weise spiegelt unser Tempo mit MEMORIAM auch ein wenig die frühen Tage bei BOLT THROWER in den späten 80ern wieder, wo wir ja durchaus viel veröffentlicht haben.
Das Tempo etwas herausgenommen habt ihr ja erst Mitte der 90er.
Genau, wir hatten aber auch einfach schon vieles gesagt und getan. Unser Sound hatte sich etabliert und entwickelte sich zu einer Art Formel, auch für andere Bands. Mit MEMORIAM sind wir nicht daran gebunden. Klar, es ist immer noch Old School Death Metal, aber grade als Texter kann ich nun auch andere Themen behandeln als beispielsweise Krieg. Für mich als Texter ist diese Freiheit sehr aufregend. Also ja, in gewisser Weise versuchen wir das Feeling der Anfangstage zu rekreieren, nenn es ruhig eine Midlife Crisis (lacht).
Nach drei Alben sind wir nun aber auch sehr zufrieden. Die ersten beiden Alben haben uns erlaubt zu experimentieren und unseren eigenen Sound zu finden, "Requiem For Mankind" ist nun das Ergebnis dieser Arbeit und bisher das definitive MEMORIAM-Album. Besonders bei der Produktion hat sich einiges getan, unser neuer Produzent Russ Russell hat genau für den epischen Sound gesorgt, den wir angestrebt haben.
Wir sind also insgesamt sehr zufrieden und lehnen uns jetzt erstmal etwas zurück. Vielleicht gibt es nächstes Jahr kein neues MEMORIAM-Album, sondern eben erst in zwei Jahren.
Ihr habt also in den letzten drei Jahren im Prinzip im konstanten Wechsel Songs geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht, seid ein wenig auf Tour gegangen und habt den ganzen Prozess wiederholt?
Exakt. Das war ein sehr aufregender und lebensbejahender Prozess, besonders weil wir das nach 30 Jahren zu unseren eigenen Bedingungen machen können. Wir sind keine Band, die in einen Tourbus springt und eine sechs- bis achtwöchige Tour absolviert.
Aber ihr seid schon ein wenig mehr unterwegs als mit BOLT THROWER, oder?
Absolut, wir sind sehr aktiv und wir spielen fast an jedem zweiten Wochenende, manchmal auch vier bis fünf Shows im Monat. Aber eben unter unseren eigenen Voraussetzungen, z. B. immer nur an Wochenenden. Wir haben alle verschiedene Verpflichtungen, das passiert halt wenn man älter wird (lacht). Ich habe Kinder, wir alle haben Jobs und ich muss mich um meine an Demenz erkrankte Mutter kümmern. Wir alle haben also Pflichten abseits von MEMORIAM, weshalb es schön ist, dass wir das an den Wochenenden machen können, wenn aber auch eh die meisten Leute Shows besuchen. Für uns ist das eine angenehme Flucht aus dem Alltag und wir genießen es daher umso mehr, aber wir haben es eben auch nicht mehr nötig, im tiefsten Sachsen vor 50 Leuten aufzutreten.
Du bist Vater von zwei noch recht jungen Kindern, ließ sich das gut mit den Band-Aktivitäten der letzten drei Jahre vereinbaren?
Die Band-Aktivitäten mit MEMORIAM sind natürlich eine willkommene Abwechslung. Meine Kinder sind fünf und sieben Jahre alt, ich liebe sie und sie haben mein Leben komplett verändert und verbessert, aber natürlich braucht man zwischendurch auch mal eine kleine Pause (lacht).
Hören deine Kids schon deine Musik?
Ja, sie müssen sogar, denn derzeit übe ich im Auto die Lyrics der neuen Songs (lacht). Es ist schön und gut ins Studio zu gehen und die Stücke aufzunehmen, aber wir haben in weniger als einer Woche unsere Release-Show und bis dahin sollte ich mich schon an meine Texte erinnern.
Sie werden also echte Death-Metal-Fans, ob sie wollen oder nicht.
Ja, früher oder später, ich werde sie indoktrinieren, sie haben gar keine Wahl (lacht).
Zurück zum Album. Ihr seht euch selbst als politische Band und in älteren Interviews habt ihr "The Silent Vigil" auch als sehr politisches Album beschrieben. Haben die Ereignisse der letzten Jahre, der weltweite Rechtsruck, der Brexit und alles was sonst noch so in der Welt passiert, euch motiviert und auch den schnellen Veröffentlichungsrhythmus beeinflusst?
Da liegst du verdammt richtig. Unsere Musik ist definitiv ein Kommentar auf die politischen, sozialen und ökologischen Ereignisse der letzten Jahre. Das war eine reichhaltige Inspirationsquelle. Ich bin ja bekannt dafür, Songs über Krieg zu schreiben. Dabei ging es mir nie um Glorifizierung oder Heldentum, sondern um den Effekt auf die beteiligten Personen. Und das nutze ich immer noch, "Shell Shock" und "Fixed Bayonets" sind sehr direkte Beispiele. "The Veteran" wiederum beschäftigt sicht mit dem Problem der Obdachlosigkeit und Armut von Kriegsveteranen und dem Versagen der Regierung, sich angemessen um diese Leute zu kümmern. Der Song hat also einen gewissen politischen Unterton.
Abgesehen davon haben wir aber auch Songs mit einem direkteren politischen Bezug. "Austerity Kills" z. B. sagt ja schon im Titel worum es geht. Die Regierung hat mMn Blut an ihren Händen, denn die ständigen Kürzungen von Sozial- und Gesundheitsleistungen über die letzten 30 Jahre treffen die ärmsten und schwächsten Schichten unserer Gesellschaft am härtesten und drücken sie weiter in die Armut, das ist ein Teufelskreis.
Und es ist ja auch kein ausschließlich britisches Problem...
Ja, es ist fast überall so. Leute, die arbeiten gehen, können sich kein Essen mehr leisten und müssen Tafeln in Anspruch nehmen. Das ist ein ziemlich junges Phänomen und zeigt, dass grundsätzlich etwas schief läuft, wenn Menschen in der modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts in bitterer Armut leben und auf Essensausgaben angewiesen sind.
Als Texter ist es für mich wichtig, solche Missstände anzusprechen. Es gibt Leute, die uns dafür kritisieren und sagen, im Metal sei kein Platz für Politik. Ich sage das ist Bullshit. Jeder bedeutende Song mit einer Auswirkung basiert irgendwo auf einer politischen Ideologie, ob die nun richtig oder falsch ist. Mir persönlich ist diese Auseinandersetzung extrem wichtig. "Refuse To Be Led" z. B. beschäftigt sich explizit mit den Folgen des Brexit.
Ich denke einfach, dass die aktuellen Probleme angesprochen werden müssen; die Plage des Nationalismus, das Beschwören von Angst und Hass auf andere, das Bauen von Mauern und die Ablehnung von Menschen, die anders sind. Und ich bin bereit, darüber zu reden und zu versuchen, etwas zu ändern. Als kreativer Musiker sehe ich mich da in der Pflicht und wenn man das nicht tut, ist man Teil des Problems. Bei BOLT THROWER haben ähnliche Themen ja auch schon stattgefunden, waren aber eher im Subtext versteckt. Bei MEMORIAM kann ich die Dinge nun direkter ansprechen und das genieße ich.
Auch bei BOLT THROWER hatte ich nie das Gefühl, dass es dabei nur um die Darstellung des Krieges als Selbstzweck ging, sondern immer ein klarer kritischer Unterton auszumachen war. Heutzutage gibt es ja besonders im extremen Metal-Sektor viele Bands, die sich mit dem Thema Krieg beschäftigen. Bei einigen hat man aber das Gefühl, dass da vielleicht etwas zu viel Begeisterung mitschwingt.
Ja, das ist ein schmaler Grat. Es ist einfach, über Krieg zu schreiben, aber schwierig, den richtigen Ton zu treffen. Es gibt ein paar Bands, die das sehr gut machen. 1914 beispielsweise; die haben mich auch gebeten, auf ihrem letzten Album mitzuwirken. Das hat leider terminlich nicht geklappt, aber wir stehen weiter in Kontakt. Und dann gibt es natürlich noch die alten ASPHYX-Sachen. Aber es gibt eben auch sehr viele Bands, die sich selbst und der Thematik mit ihrer Herangehensweise keinen guten Dienst erweisen.
Die letzte MARDUK z. B....
Kein Kommentar (lacht).
...oder SABATON...
Und ich dachte grade noch, sag bloß nicht SABATON (lacht).
Du hast mit deinen Texten aber zum Glück immer das richtige Fingerspitzengefühl bewiesen.
Ich denke schon. Ich bekomme auch gelegentlich Feedback von Soldaten, die in Kriegseinsätzen waren und mir erzählen, dass ihnen meine Texte geholfen haben. Das macht mich natürlich sehr stolz und dafür lohnt sich die Arbeit.
Viele Texte auf "Requiem For Mankind" scheinen einen direkten Bezug zum ersten Weltkrieg zu haben, daher dachte ich erst an ein Konzeptalbum.
Ein Konzeptalbum ist es zwar nicht, aber die Referenzen sind auf jeden Fall da, denn dieser Teil der Geschichte fasziniert mich.
Erschreckend und faszinierend.
Genau, die Kriegsführung wurde mechanisiert und Menschen wurden zu Kanonenfutter. Mit diesem Thema werde ich mich immer beschäftigen. Daneben gibt es aber eben auch den politischen Aspekt und die Thematik der Trauer, die sich durch alle drei Alben zieht. Zur Zeit des ersten Albums hatten Frank (Healy, Bass) und ich grade unsere Väter verloren und BOLT THROWER hatten grade Martin "Kiddie" Kearns verloren. Aus dieser Erfahrung sind MEMORIAM ja gewissermaßen entstanden. Der Umgang mit Trauer ist also auch ein wichtiges Kernthema aller drei Alben.
Die Verbindung zwischen den Themen Krieg und Trauer ist aber selbstverständlich gegeben. Im letzten Vers von "In The Midst Of Desolation" zitiere ich ein Gedicht, dass ich während meiner langen Karriere immer wieder verwendet habe, schon bei BOLT THROWER. Das Gedicht heißt "For The Fallen" von Laurence Binyon, einem Dichter aus der Zeit des ersten Weltkrieges. Ich habe auf jedem MEMORIAM-Album einen anderen Vers davon verwendet und es schließt sich quasi ein Kreis.
Siehst du die Kriegsthematik auch als eine Art Metapher auf den desolaten Zustand der Menschheit?
Ja, definitiv. Ich schreibe zwar über Krieg und hatte auch Familienmitglieder wie meinen Großvater, die persönlich davon betroffen waren, aber aus meiner Sicht kann Krieg auch den Kampf mit alltäglichen Problemen und Routinen bedeuten. Das Leben an sich ist ein Kampf.
Um sich greifender Nationalismus war ja auch eine der Ursachen, die Ereignisse wie den ersten und zweiten Weltkrieg überhaupt ermöglicht haben. Das macht die momentane Situation so beängstigend.
Das ist richtig. Es ist erschreckend, wie normal rechtes und faschistisches Denken in den letzten Jahren geworden ist. Deswegen müssen diese Dinge angesprochen und bekämpft werden und es stimmt mich positiv, dass junge Menschen diesbezüglich immer aktiver werden, sich mit aktuellen Problemen beschäftigen und diese angehen. Ich hoffe, dass ich das auch an meine Kinder weitergeben kann. Ich erwarte nicht, dass ich Menschen mit meinen Texten komplett zum umdenken bewege, aber ich möchte zumindest Denkanstöße geben und auf gewisse Themen aufmerksam machen. Mehr kann ich nicht tun.
"Requiem For Mankind" hat also durchaus auch eine positive Botschaft.
Ja, es gibt Hoffnung. Die Songs "Undefeated" und "Never The Victim" beschäftigen sich besonders mit den Themen Überleben, Selbstermächtigung und Hoffnung. Es sind Songs für die Zukunft, mit denen sich jeder irgendwie identifizieren kann, denn jeder macht mal harte und mal gute Zeiten durch. Es kommt darauf an, wie wir mit solchen Erfahrungen umgehen und daraus lernen.